1127 - Der Gothic-Vampir
jetzt, daß er sein Ziel erreicht hatte. Das war die neue Ruhestätte seines fernen Verwandten.
Beinahe wie ein Blinder tastete er sich vor. Aus seinem halb offenstehenden Mund drangen keine Atemgeräusche. Die Laute, die er von sich gab, waren mehr mit einem Zischen oder leichten Stöhnen zu vergleichen. Sie drückten den momentanen Triumph aus, der über ihn gekommen war.
Wenige Sekunden später hatte er die Grabstätte erreicht. An sein neues Dasein hatte er sich immer besser gewöhnen können, und die Dunkelheit störte ihn auch nicht mehr. Er sah deutlich, was sich vor ihm ausbreitete.
Es war der Sarg!
Ein Gebilde aus Stein, aber nicht verschlossen. Der Vampir bückte sich, und dabei spürte er das Zittern, das durch seinen Körper rann.
Die große Freude in ihm war vergangen. Es gab nur noch das, was er mit seinen eigenen Augen sah.
Er bückte sich tiefer.
Jetzt heulte er leise wie ein Tier. Er schüttelte den Kopf. Er konnte nicht glauben, was da vor ihm stand. Mit beiden Händen wühlte er durch das Unterteil des steinernen Sargs. Die langen Nägel kratzten über den Boden hinweg, und wieder lösten sich aus seinem Mund unmenschliche Laute.
So sehr er auch mit den Händen über den Sargboden schabte, er änderte nichts.
Der Steinsarg blieb leer!
Montfour richtete sich wieder auf. Er taumelte. Mit dem Rücken prallte er gegen die Wand. Sein Maul öffnete sich so weit wie möglich, und tief in der Kehle wurde der Schrei geboren, der sich nun löste.
Er war wie ein Urschrei. Ein Schrei der reinen Enttäuschung und zugleich der Last einer Person, bei der alles zusammengebrochen war.
Er schlug die Hände wuchtig gegen sein Gesicht. Spitze Nägel schabten über die Haut. Die Abrechnung mit seinem entfernten Verwandten konnte er nicht mehr durchführen. Er haßte sich deswegen, weil er sich wie ein Verlierer vorkam, aber durch diesen verdammten Tunnel der Enttäuschung mußte der Untote gehen, um später wieder klare Sicht zu bekommen.
Gedanken nebst Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Er hatte erwartet, die alten Knochen zu sehen. Vielleicht auch zum größten Teil schon zu Staub zerfallen, wie auch immer. Aber es gab keine Reste im Sarg, die auf eine Leiche hingewiesen hätten.
Wütend jaulte er noch einmal auf. Man hätte bei diesem Laut schon Mitleid mit ihm bekommen können. Neben dem Steinsarg hockte er sich auf den Boden.
Hector de Valois gab es nicht mehr. Man mußte ihn geholt und woanders begraben haben. Aber wo?
Die Antwort war einfach zu schwierig. Montfour wußte nichts mehr. Es war zuviel Zeit vergangen, aber auch die Zeit schaffte es nicht, immer alle Spuren zu löschen.
Er würde sie wieder aufnehmen. Doch erst, nachdem er genügend Kraft getankt hatte.
Kraft gab ihm nur das menschliche Blut…
Mit diesem Gedanken setzte sich der Vampir wieder in Bewegung und ging den Weg zurück. Langsamer, mit gesenktem Kopf. Er glich einem enttäuschten, normalen Menschen.
Das änderte sich, als er die Lücke im Fels und damit den Ausgang fast erreicht hatte.
Der Vampir blieb stehen.
Nicht ohne Grund.
Ein bestimmter Geruch war ihm entgegengetragen worden.
Blutgeruch…
Montfour fletschte die Zähne. Vorhin noch hatte sich das Schicksal gegen ihn gestellt. Jetzt allerdings stand es auf seiner Seite, und er würde die Gelegenheit nutzen…
***
Ich stand ganz ruhig auf dem Teppich in Bill Conollys Arbeitszimmer. Alle hatten die Stimme des Abbé Bloch gehört, und die Conollys konnten sich vorstellen, wie es in mir aussah.
»Bist du noch da?« hörte ich die dünne Stimme des Templers.
»Ja.«
»Ich kann mir vorstellen, wie du dich jetzt fühlst, John. Laß dir Zeit mit einer Antwort.«
»Sicher«, flüsterte ich.
Die Erklärung hatte mich tatsächlich wie ein mächtiger Hammerschlag getroffen. Ich hatte das Gefühl, der Boden würde sich unter meinen Füßen senken.
Montfour war ein Verwandter von Hector de Valois? Der Abbé hatte sicherlich nicht gelogen, aber ich spann den Faden weiter. Ich hatte mal als Hector de Valois existiert. War dieser Jacques Montfour deshalb auch ein Verwandter von mir?
Nein, verdammt, nein. Das hätte mir noch gefehlt. Das Rätsel im Leben meines Vaters hatte mir bereits gereicht; ich wollte nicht noch mehr Überraschungen erleben.
Ich fing Bills Blick auf. Mein Freund zuckte mit den Schultern.
Auch er war entsetzt.
Ich hatte mich wieder etwas gefangen und räusperte mich.
»Abbé?«
»Ich bin noch dran.«
Meine ersten Worte klangen spontan. »Kann
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