1137 - Madame Tarock
möglichen Leute sprechen vom Millennium, und da werden ja viele Schreckgespenster an die Wand gemalt.«
»Auch bei dieser Madame Tarock?«
»Keine Ahnung, ehrlich.« Sie kam auf mich zu und hob die Schultern. »Ich kenne Bill ja, und ich weiß, daß er nicht so leicht auf jeden kruden Kram hereinfällt. So könnte ich mir vorstellen, daß mehr dahintersteckt.«
Ich nickte ihr zu. »Ja, Sheila, das denke ich auch. Er war ziemlich überzeugt. Wäre es anders, hätte er mir auch keinen Bescheid gegeben.«
»Das musst du wissen.«
»Okay, ich bin dann weg. Gute Besserung für deinen Mann und meinen Freund und vergiss nicht, mein Patenkind zu grüßen. Ach ja, was wünscht er sich eigentlich zu Weihnachten?«
»Das musst du ihn selbst fragen. Warte, ich bringe dich zur Tür.«
Ich war wirklich noch im Zweifel, ob ich fliegen sollte oder nicht. Aber ich würde noch mit Suko darüber reden und mich dann erst entscheiden, obwohl Bill die Sache ja recht wichtig war.
»Mach dir keinen langen Hals«, sagte Sheila zum Abschied. »Was immer du tust, es wird schon richtig sein.«
»Das hoffe ich doch.«
Wenig später saß ich wieder im Rover und rollte durch den illuminierten Vorgarten.
Zingara oder Madame Tarock. Beide Namen hörten sich geheimnisvoll an, aber auch das war nichts Besonderes. Oft genug gaben sich die Wahrsagerinnen Pseudonyme. Das kam eben bei den Kunden besser an, denn schon ein derartiger Name umgab die Person mit der Aura des Geheimnisvollen.
Über London hatte sich inzwischen die Dunkelheit ausgebreitet. Aber das Wetter war noch immer nicht besser geworden. Es regnete so vor sich hin, und zum Glück war der große Sturm vorbei, der uns vor einigen Tagen erwischt hatte.
Wieder quälte ich mich durch den Verkehr. Als ich endlich in meiner Wohnung eintraf, hatte ich Hunger bekommen, aber noch keine Entscheidung getroffen.
Gegen den Hunger kannte ich ein probates Mittel, den Pizza-Service. Was den Flug anging, schwankte ich noch immer…
***
Es war eine Tote, die lebte!
Das musste sich Harry Stahl zunächst klarmachen. Und er hatte gesehen, dass diese »Tote« an ihrem »Mörder« gnadenlos Rache genommen hatte. Wobei er sich nun fragte, ob er ebenfalls auf ihrer Liste stand.
Die Stille wurde von den Schritten der Frau unterbrochen, die langsam auf den am Wagen stehenden Harry Stahl zukam. Er tat nichts. Er wartete. In seinem Leib hatten sich die Schmerzen wieder verflüchtigt. Nur in der Kehle hockte noch das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Die Frau hielt die Waffe fest. Die Mündung wies nicht nach vorn, sondern zeigte zu Boden. Für Harry bestand keine unmittelbare Gefahr, und so entspannte er sich weiter.
Wieder dachte er an die Tote, die lebte. Andere an seiner Stelle wären möglicherweise durchgedreht. Sie hätten gelacht oder gedacht, eine Halluzination zu erleben. Das war bei ihm anders. Harry Stahl wusste, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die der normale Verstand nicht nachvollziehen konnte. Er hatte es erlebt. Er gehörte zudem der Gruppe von Menschen an, die derartigen Vorgängen nachgingen.
Vor ihm blieb die Frau stehen. Harry sah sie nicht nur, er roch sie auch. Ein ungewöhnlicher Duft ging von ihr aus. Etwas düster, etwas geheimnisvoll wie der Duft verbotener Blüten. Ihr Gesicht war ihm recht nahe, so dass er es zum erstenmal aus dieser Nähe sah.
Die Wahrsagerin hatte einen sehr breiten Mund mit schön geschwungenen Lippen. Pechschwarze Haare, dunkle Augen, eine gerade gewachsene Nase mit einem leichten Schwung nach oben.
Sie nickte.
Harry quälte sich ein Lächeln ab. Er wusste nicht, wie er sie ansprechen sollte, dabei wollte er sich bedanken, doch in diesem Fall fehlten ihm die Worte.
Das übernahm die Frau. »Wie heißt du?«
»Harry Stahl.«
»Ah ja. Bitte.« Sie streckte die rechte Hand vor und reichte ihm die Pistole. »Die gehört dir.«
»Ja, danke.« Er nahm die Waffe an sich und fühlte sich auch weiterhin verlegen. Er wusste nicht, wie er die Unterhaltung in Gang setzen sollte. Dabei hatte er verdammt viele Fragen, und er hätte sich auch gern danach erkundigt, ob sie ein Zombie war.
Er brachte einfach kein Wort heraus. Die Frau wusste es und ließ ihm Zeit. Sie schaute ihn nur an, lächelte dabei und fragte dann: »Jetzt möchtest du wissen, wer ich bin, nicht wahr?«
»Das wäre nicht schlecht«, gab Harry zu. »Ich hörte nur, dass man dich als Wahrsagerin bezeichnet.«
»Das bin ich in der Tat.«
»Und du hast auch einen
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