1141 - Die Königin von Avalon
war noch nicht aus meinem Kopf, als mich das Wunder traf, denn als etwas anderes konnte ich es nicht ansehen. Ich hatte mich vom Boden her hochgedrückt und mich nach rechts geschnellt. Dorthin, wo die Bänke standen. Ich war auch darauf gefasst gewesen, von der Klinge erwischt zu werden, aber das geschah nicht. Dieses andere Wunder, diese mächtige Kraft schleuderte mich weiter nach vorn, als wären Hände da, die mir einen Stoß gaben.
Ich fiel zwischen die Bänke, und das Messer hatte mich nicht getroffen. Ich war schneller gewesen als die Klinge. Eine Tatsache, die ich nicht fassen konnte, denn ich hatte in diesen Augenblicken etwas Übermenschliches erlebt.
Ich rutschte von der Sitzbank, kam aber mit einem lockeren Sprung wieder hoch, stieß mich mit dem linken Fuß ab und überwand mit dem nächsten Sprung eine Distanz, deren Weite ich noch nie durch meine eigene Kraft gesprungen war.
Das Messer war irgendwohin geflogen, ich aber kam wie ein Racheengel auf die beiden X-Rays zu und merkte erst jetzt, dass ich hoch in der Luft schwebte, über ihre Köpfe hinweg und auch von oben herab auf sie niederstieß.
Und das mit einem Sprung?
In dieser winzigen Zeitspanne peinigten mich meine Gedanken. Es war nicht normal. Diese Kraft besaß kein Mensch, aber ich musste damit leben. Es war, als hätten sich unter meinen Füßen Gummibälle befunden, die mir den nötigen Schwung gegeben hatten.
Es musste alles schnell gehen. Und es lief auch normal ab, obwohl ich weiterhin alles verlangsamt erlebte. Auf den Messerwerfer schwebte ich in einem schrägen Winkel zu. Er hatte sich vor mir bisher nicht gefürchtet, nun schaute er mich mit weit aufgerissenen Augen an und konnte nicht fassen, wieso und weshalb ich mich auf diese Art und Weise verändert hatte. Seine Augen auf dem Brustkorb schienen mich auch stoppen zu wollen, sonst hätten sie nicht so stark geleuchtet, doch die neue Kraft in mir war stärker.
Noch in der Luft trat ich zu. Mit einer kurzen Bewegung schleuderte ich das rechte Bein nach vorn. Ich hatte ihn nicht am Kopf treffen wollen und auf die Brust gezielt. Aber ich traf ihn am Hals.
Es war ein Treffer mit der Wucht einer Kanonenkugel. Der X-Ray wurde nicht nur von den Beinen gerissen, er wirbelte auch wie vom Katapult geschleudert zurück. Der Tritt wuchtete ihn weit nach hinten.
Er flog quer über die ersten Bänke hinweg und war nur noch eine wirbelnde und um sich drehende Gestalt in der Luft, die weit, sogar sehr weit entfernt zu Boden schlug.
Auch ich kam auf. Mit beiden Füßen zugleich berührte ich den Boden, federte noch etwas nach, auch dies höher als gewöhnlich, und drehte mich dann auf der Stelle herum, denn es gab noch einen zweiten Gegner.
Der hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er hatte sein Messer vergessen. Wie ein starrer toter Fisch hing es aus seiner Faust hervor nach unten.
Sein Gesicht war von einem Ausdruck gezeichnet, den ich nur als ungläubiges Staunen ansehen konnte. So wie er schaute ansonsten nur ein Kind, das die erste weihnachtliche Überraschung in seinem Leben hinter sich hatte.
Es war dieses nicht Begreifen können, dass es ein Mensch geschafft hatte, sich so zu verändern. Er fluchte nicht. Er flüsterte nicht. Er konnte gar nichts sagen, und er musste tatenlos mit ansehen, wie ich auf ihn zuging.
Ich fühlte mich wie nie zuvor in meinem Leben. Eine derartige Kraft hatte ich noch nie erlebt. Dem Mann mit den Siebenmeilenstiefeln hätte es nicht anders ergehen können. Wäre mir befohlen worden, eine Bank anzuheben, ich hätte es locker getan. Nur dachte ich nicht daran, denn der X-Ray war wichtiger.
Als ich dicht bei ihm war, hatte er sich von seiner Überraschung erholt. Er wollte das Messer nicht schleudern. Ich bekam mit, wie er die Klinge drehte und die rechte Hand dann vorstieß, um das Messer in meinem Körper zu versenken.
Normalerweise wäre ich ausgewichen. Das hätte mir mein Überlebenswille befohlen. In dieser Situation und mit der Kraft des Engels erfüllt, tat ich es nicht.
Ich ging noch weiter auf ihn zu - und lief direkt in die Klinge hinein, die sich über meiner Gürtelschnalle in den Bauch drückte…
***
Dean McMurdock hatte einen Zustand erreicht, in dem er nicht mehr wusste, wer er war. Bei ihm waren die Zeiten sowieso nicht so wichtig wie bei anderen Menschen. Er sah die Vergangenheit, die Gegenwart und auch die Zukunft mit anderen Augen an und war durch sein Schicksal auch dazu gezwungen worden.
Aber jetzt war alles anders.
In
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