1142 - Piraten-Terror
Grinsen unter der Augenklappe, und das Gesicht schimmerte eigentlich heller als der übrige Körper. Es hatte einen bläulichen Ton erhalten, ebenso wie die knochige linke Hand und wie der Stahl, aus dem der Haken bestand.
Er war von Colyn als Mordwaffe eingesetzt worden. Damit hatte er Menschen und Tiere gejagt. Wenn die Legende stimmt, war er immer aus dem Wasser gestiegen, um danach die Menschen zu überfallen. Er hatte die Männer getötet und die Frauen geraubt, um sie auf sein Schiff zu verschleppen, an dessen Masten die Totenkopf-Flaggen wehten. Das Schiff war irgendwann untergegangen, aber der Pirat hatte sich retten können und war des öfteren zurückgekehrt.
Manchmal hatten ihn die Menschen auch nur als einen riesigen Schatten gesehen, der sich lautlos und in tiefer Nacht durch die Orte bewegt hatte. Immer auf der Jagd nach Seelen und Menschen.
Sein Bild spielte eine Hauptrolle. Überhaupt sollte er sehr eigen gewesen sein. Es gab Situationen, in denen er sich hatte malen lassen, damit etwas von ihm überlebte. Und es existierte nicht nur dieses eine Bild, das wusste Laura auch. Wo die anderen versteckt waren, hatte sie allerdings nicht herausfinden können.
Es war für sie wichtig, zumindest das eine Bild zu vernichten, und sie verspürte plötzlich einen so großen Hass darauf, dass sie den Fuß anhob und gegen das Gemälde trat.
Es war ein wuchtiger Tritt. Er hätte die Leinwand eigentlich zerstören müssen. Das passierte nicht. Ihr Fuß wurde wie von einer Gummifläche zurückgeschleudert.
Eine Überraschung, unmöglich, damit hatte sie einfach nicht rechnen können. Die Gegenwucht war so stark, dass sie nach hinten taumelte und erst am Rand der Mulde zum Stehen kam, wobei sie fast gefallen wäre.
In diesen langen Augenblicken war sie entsetzt und geschockt zugleich. Sie konnte es einfach nicht begreifen, dass die Leinwand einem kräftigen Fußtritt widerstanden hatte.
Oder war es keine Leinwand?
Wieder durchlebte sie Zweifel. Wenn es keine Leinwand wäre, hätte sie das schon beim Tragen des Bildes spüren müssen. Ein auf Holz gemaltes Bild wäre um einiges schwerer gewesen.
Nein, es war schon eine Leinwand.
Etwas Unheimliches war geschehen - und zugleich etwas, das in Zusammenhang mit dem verdammten Piraten stand. Es gab keine natürliche Erklärung für das Verhalten des Bildes.
Verhalten - sie lachte über den Begriff. Als wäre dieses Bild etwas Lebendes öder Lebendiges.
Warum eigentlich nicht? Wenn sie an die Legenden dachte, die sich um Colyn Dolphyn rankten, dann war alles möglich. Und genau in dieser Nacht sollte er aus seinem finsteren Totenreich oder wo immer er steckte, zurückkehren.
Überlegungen waren gut und schön, doch sie brachten nichts ein. Sie musste wieder zurück in die Realität und sich um die wahren Dinge kümmern. Die Tatsachen lagen auf der Hand. Sie selbst hatte sie herbeigeschafft. Sie waren viereckig. Ein Gemälde, das aus guten Gründen versteckt gehalten worden war.
Laura schüttelte den Kopf, als wollte sie die Erinnerung an die letzten Minuten löschen. Jetzt war sie in ihren Plänen schon soweit gekommen, dass sie an ein Aufhören überhaupt nicht denken wollte. Dann hätte sie auch vor sich selbst nicht bestehen können. Und sie hatte sich vorgenommen, das Bild zu verbrennen, um dem anderen keine Chance zu geben. Das Fremde sollte keinen Einlass in das Leben der Menschen bekommen.
Laura näherte sich dem Bild mit vorsichtigen Schritten. Sie selbst hatte das gar nicht beabsichtigt. Es war einfach das Unterbewusstsein, das sie beherrschte.
Das Bild stand noch immer an der gleichen Stelle. Es hatte sich auch nicht durch den Tritt verschoben, und nur die Umgebung war dunkler geworden. Die Dämmerung hatte sich zurückgezogen, jetzt brach die Nacht an, und die finsteren Wolken am Himmel ballten sich noch stärker zusammen.
Sie spürte den Wind kälter und stellte den Kragen der Jacke noch höher. Sie stand vor dem Gemälde, und es hatte sich ihrer Ansicht nach verändert, obwohl dies kaum möglich war. Es war irgendwie heller geworden, besonders in der Mitte, wo sich der Pirat abzeichnete.
Grinste er jetzt?
Es musste Einbildung sein. Da hatten ihr die überreizten Nerven einen Streich gespielt. Sie wollte das Gemälde so schnell wie möglich brennen sehen. Dann war es aus der Welt.
Niemand störte sie. Sie hörte keine Stimmen. Sie sah keine Menschen, die um diese Zeit noch durch die Dünen wanderten. Den meisten war es zu kalt und zu
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