1143 - Grabmal des Grauens
sie sich eine Schusswaffe gewünscht. So etwas gab es nicht in ihrer Wohnung. Sie konnte sich nur auf die paar Messer in der Küche verlassen. Dort wollte sie zwar auch nach einer Veränderung schauen, zuvor aber betrat sie ihr Schlafzimmer.
Es war zweckmäßig eingerichtet, auch nicht so steif und konservativ, wie die meisten Räume des Hauses. Marion hätte sich eine zweite Tür vom Schlafzimmer ins Bad gewünscht. Es war nur möglich, wenn sie das hohe und breite Bild von der Wand genommen hätte. Es zeigte etwas verfremdet die Landschaft der Toskana in sehr kräftigen Farben unter einer allmählich verschwindenden Sonne. Es war ein Geschenk ihres Freundes Dario La Monte, der sich ansonsten mit der Bildhauerei beschäftigte und nur ein paar Mal künstlerisch »fremdgegangen« war.
Das Bett, der Schrank, über Eck in die Wand integriert. Die beiden Sessel, die schräg vor einem Fernseher standen, der weiche Teppichboden, das alles sah so normal aus. Es gab keinen Schatten, der sie hätte stören können.
Hatte es überhaupt einen gegeben?
Allmählich stellte sich Marion diese Frage. Die Furcht hatte sich verflüchtigt. Sie dachte daran, dass es unter Umständen auch Einbildung hätte sein können. Da hatten ihr die Nerven nach diesem harten Tag einen Streich gespielt.
Eine Axt, dachte sie. Ein Beil. Das war das Trauma der Familie, weil ein gewisser Gerald Hopper zu einem Psychopathen geworden war. Für sie war es nicht einmal eine Handlung im Affekt gewesen, sonst hätte der Mörder nicht zuvor in einem Testament hinterlegt, wie sein Grab auszusehen hatte. Sie war nur einmal dort gewesen und hatte diese verfluchten Figuren gesehen. Es war für den Bildhauer damals ein lukrativer Auftrag gewesen, aber Marion fragte sich manchmal, wie Dario so einen Auftrag überhaupt hatte annehmen können.
Beide hatten nie wieder darüber gesprochen, als hätte es ein stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen gegeben. Die Sache war vorbei und fertig.
Marion Hopper schloss die Tür des Schlafzimmers und drehte sich um.
Das nächste Ziel war ihr Wohnzimmer. Dort wollte sie sich aufhalten.
Noch zwei Stunden entspannen, die Ereignisse des Tages an sich abgleiten lassen, dann ins Bett gehen und möglichst tief und fest schlafen.
Die Furcht war noch immer vorhanden. Marion bewegte sich nicht so locker durch ihre Wohnung wie sonst. Sie ging dabei langsam und kam sich vor wie jemand, der auf der Hut ist, sich das aber nicht anmerken lassen will.
Helles Licht tat ihr gut. Die Quellen hatte sie innerhalb des großen Raums gut verteilt. Er nahm die gesamte Hausbreite ein. Am stärksten fiel das große Dreiecks-Fenster auf, das erst dicht über dem Boden endete. Die flachen, flauschigen Schlappen standen so, dass sie hineinschlüpfen konnte. An der offenen Bar kippte sie Martini in ein Glas. Auf Eis verzichtete sie, auf eine Olive ebenfalls. Mit dem Drink in der Hand bewegte sich Marion auf das dreieckige Fenster zu und blieb nachdenklich vor der Scheibe stehen.
Es hatte am Tag geregnet. Jetzt regnete es nicht mehr, aber die Tropfen hingen noch immer außen an der Scheibe. Marion sah sie als Flecken oder als lange Schlieren, die der Wind noch nicht getrocknet hatte. Das Wasser verzerrte den Blick. Es brach das Licht. Die weiter entfernt stehenden Häuser mit ihren Lichtern sahen leicht verschwommen aus und schienen zwischen Himmel und Erde zu stehen.
Düstere Wolken segelten über einen ebenfalls düsteren Himmel, auf dem weder das Licht des Mondes noch das der Sterne eine Chance hatte.
Dieser Tag und auch der Abend waren zum Weglaufen. Ein widerliches Wetter im Januar. In der kommenden Macht sollte es kälter werden, da musste auch mit Schnee gerechnet werden.
Marions Augen befanden sich in Bewegung. Den Schatten des Beils hatte sie vergessen wollen, aber ihr Unterbewusstsein sperrte sich dagegen. Obwohl sie es sich nicht eingeredet hatte, fing sie an zu suchen. Sie forschte nach diesem Gegenstand und nannte sich selbst eine Masochistin, weil sie es tat.
Dann fiel ihr ein, dass sie noch jemand anrufen musste. Das hatte sie Dario versprochen. Im Raum gab es drei Telefone. Sie hatte sie an strategisch günstigen Plätzen deponiert. Sie hob den Apparat von der Station und wählte die Nummer ihres Freundes.
Eigentlich war es schon spät für eine Nachricht. Da hätte er auch anrufen können. Aber Dario war oft vergesslich, was sie ihm verzieh.
Wenn er arbeitete, vergaß er seine Umwelt.
Vor dem Fenster ging Marion auf
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