1149 - Begraben, aber nicht vergessen
hatte mir erzählt, dass der See nicht zufror, was wohl an den Strömungen liegen musste, deshalb sah das Wasser dunkel aus. Es war glatt wie die Fläche eines Spiegels.
Die Häuser zogen sich zurück. Der Blick nach vorn war wieder unbegrenzt, aber an der rechten Seite und um einiges von der Straße versetzt, richtete sich ebenfalls ein Haus in die Höhe, auf dessen Dach sich der Schnee niedergelassen hatte und auch nicht daran dachte, wegzutauen.
»Da ist es.«
Ich atmete auf. »Endlich. So eine Fahrt kann verdammt nerven.«
»Sei froh, dass wir keine Panne gehabt haben, John.«
»Dann hätte ich mich vergraben.«
Karina lachte und lenkte den Wagen von der normalen Piste - eine Straße war es ja nicht - weg. Wir rumpelten über unebenes Gelände, dessen Hindernisse sich unter der Schneedecke verbargen, und das tanzende Licht der Scheinwerfer erfasste nicht nur die Breitseite eines nicht sehr hohen Hauses, sondern auch einen Leiterwagen, der hinter einen Traktor gespannt war.
»Er ist wohl im Haus«, sagte die Russin.
»Und es brennt Licht.« Ich hatte die schwache und rötliche Helligkeit hinter den Fensteröffnungen gesehen. Es war natürlich kein normales elektrisches Licht, sondern der gelblichrote Schein einer Öllampe.
Karina ließ den Wagen langsam ausrollen und bremste vorsichtig, damit wir nicht rutschten. Der Schnee war hier hart gefroren und von einer Eisschicht bedeckt. Wir würden beim Gehen aufpassen müssen.
Auch aus diesem Kamin quoll Rauch. In dicken, grauen Wolken bahnte er sich seinen Weg. Es wies darauf hin, dass jemand erst vor kurzer Zeit etwas verbrannt hatte und dieser Vorgang noch nicht beendet war. Mich wunderte, dass niemand die Tür öffnete, um uns zu begrüßen. Auf Grund der äußeren Anzeichen konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich der Besitzer des Hauses schon schlafen gelegt hatte.
Ich schnallte mich los und blickte Karina fragend an. »Warum steigst du nicht aus?«
»Das kann ich dir selbst nicht sagen.«
»Was gefällt dir nicht?«
Sie drückte auf den roten Knopf und ließ das schwarze Band des Sicherheitsgurts an sich hochgleiten. »Ich kann es dir nicht sagen, John, aber du wirst verstehen, wenn ich dir sage, dass ich ein verdammt ungutes Gefühl bekommen habe. Das kennst du ja - oder?«
»Dann sollten wir uns beeilen.«
Ich stieß die Tür auf. Im Fahrzeug war es warm gewesen. Da hatte ich keine Jacke tragen müssen.
Die nahm ich jetzt mit und streifte sie über. Es war eine Thermojacke, die bis zu den Knien reichte, sehr leicht war, aber auch warm hielt und den Wind abhielt. Er kam vom See her und brachte eisige Kälte mit.
Auch Karina stieg aus. Nachdem beide Türen zugefallen waren, hielt uns Stille umfangen. Karina schaute am Haus hoch, um sich das Dach genauer anzusehen.
»Was stört dich?«, fragte ich.
Sie verzog die Lippen. Dann schnüffelte sie und deutete in die Höhe. »Es ist der Rauch.«
»Warum?«
»Er riecht so seltsam, als wäre jemand dabei, im Kamin etwas zu verbrennen, das normalerweise da nicht hineingehört.«
»An was denkst du?«
»An Leichen, zum Beispiel.«
Sie hatte die Antwort fast scherzhaft gegeben, doch ihr Gesichtsausdruck war ernst geblieben.
»Okay, dann…«
Nein, es kam alles anders. Unsere Lässigkeit verschwand, als wir den grellen Schrei hörten, der auch durch die dicken Mauern des Hauses kaum gedämpft wurde.
Da wussten wir, dass es höchste Eisenbahn war. Diesmal war ich schneller als Karina und hatte auch das Glück, nicht auf dem glatten Boden auszurutschen. Ich nahm Anlauf und warf mich gegen die Tür. Sie war zwar massiv, wie es sich in dieser Gegend gehörte, aber sie schwang nach innen.
Ich starrte in den Raum hinein, während ich automatisch weiterging und sah dann eine Szene, die der Teufel persönlich geschaffen zu haben schien.
Eine nackte und schrecklich aussehende Gestalt war dabei, einen lebenden Menschen in den Kamin zu schieben…
***
In diesem Moment schoss mir die Geschichte von Hänsel und Gretel durch den Kopf. Die Hexe war in diesem Fall die widerliche Gestalt mit der dünnen Haut, und der ältere Mann hatte den Part des Hänsels übernommen. Er war bereits angehoben worden und befand sich nicht einmal weit von der offenen Kaminklappe entfernt. Da tanzten die Flammen, und einige Zungen griffen bereits nach ihm.
Es war keine Zeit mehr, die Waffe hervorzuholen. Mich kümmerte auch nicht, was Karina Grischin tat. Für mich war es wichtig, den Mann zu retten.
Da gab es nur eine
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