1153 - Die Gruftie-Girls
eine Bühne gab, die allerdings leer war bis auf zwei Standmikrofone. Auf den Boden war ein schwarzer, faltenloser Teppich gelegt worden. Mit einer ebenfalls dunklen Rückwand schloss die Bühne ab.
An der langen Theke konnte sich jeder etwas zu trinken holen. Sie war mit zahlreichen Glühbirnen geschmückt, die wiederum graues Licht abgaben, und die Beleuchtung hatte die Form eines Segels. Fast schon wie auf einer Gartenparty, nur nicht so bunt.
Die Gäste gingen zum Tresen, holten sich ihre Getränke und suchten sich dann ihre Plätze aus. Entweder hockten sie auf Bänken an den Wänden oder auf schmalen Stühlen, die an kleinen viereckigen Tischen standen, und zwar recht gedrängt, damit noch genügend Platz für die dunkle Tanzfläche blieb, über die in unregelmäßigen Abständen graue Lichtspots huschten, wie sie sich überhaupt in der gesamten Gruftie-Disco verteilten und ihren Weg bis zu den letzten Stufen der Treppe fanden.
Die Tanzfläche war besetzt. Nicht voll, aber man tanzte. Und niemand hatte sich dafür einen Partner geholt. Die Gäste tanzten allein. Sie waren voll auf die Musik konzentriert und in sich selbst versunken. Im Moment wehten die Klänge einer düster-melodischen Flötenmusik durch den Raum, und die Tanzenden passten sich den Melodien haargenau an. Das taten sie nicht zum ersten Mal.
Man war hier wirklich tolerant. Es gab niemand, der uns wegen unseres Aussehens anmachte. Wir wurden einfach als Gäste akzeptiert, das fand ich gut.
Ich hatte eigentlich damit gerechnet, die Wände voller Plakate zu finden, aber das war auch nicht der Fall. Sie waren einfach nur blank und mit dunkler Farbe gestrichen, die nachpoliert worden war.
An der Theke gab es noch genügend Platz für uns. Allerdings standen keine Hocker bereit. Natürlich war auch dieser Bereich dunkel ausgestattet, doch hin und wieder schimmerte und blitzte es silbern auf.
Das lag an den Ketten, die in Bögen von der Decke nach unten hingen und mit allerlei seltsamen und fremdartigen Zeichen bestückt waren.
Aus Totenschädeln oder Knochenbechern brauchten wir nicht zu trinken. Es gab zwar auch Gläser, aber wir entschieden uns für zwei Dosen Wasser.
Bedient wurden wir von einer Blondine, die ein tief ausgeschnittenes Samtkleid trug, das einen Teil ihrer Brüste sehen ließ. Die weiße Haut fiel uns auf, und darauf, dicht unter dem Hals, lag ein an einer Kette hängender roter Stein wie ein starrer Blutfleck.
Die Blonde hatte ein sehr hübsches und ebenmäßiges Gesicht. Das Haar war in die Höhe gekämmt, und durch die blonden Strähnen wand sich ein Netz aus schwarzen, dünnen Fäden, als hätte eine Spinne dort ihr Erbe hinterlassen.
»Du siehst gut aus«, sagte ich.
Der geschminkte und in einem scharfen Rot nachgezeichnete Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Danke. Ich bin die Prinzessin der Nacht.«
»So habe ich mir eine Prinzessin auch immer vorgestellt.« Dabei dachte ich an eine andere Person, die mein Freund Bill Conolly als Prinzessin Blutleer bezeichnet hatte.
Da noch zwei andere weibliche Nachtgeschöpfe bedienten, hatte die Prinzessin Zeit, sich um uns zu kümmern. Sie war auch neugierig und fragte: »Ihr gehört aber nicht zu uns.«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Warum seid ihr gekommen?«
»Wir mögen die Musik«, sagte Suko, bevor ich mir eine Ausrede einfallen lassen konnte.
»Alte irische Folklore?«
»Ja.«
»Da werdet ihr es hier gut haben.«
»Aber wir wollen noch mehr«, sagte ich und schaute der Prinzessin tief in die dunklen Augen. Sie bewegte etwas unruhig ihre Hände, so dass die dünnen Armreifen, die allesamt an Schlangen erinnerten, gegeneinander klirrten.
»Was denn?«
»Gesang.«
Sie verstand. Zumindest nickte sie uns zu. »Ihr meint sicherlich die Two Sins…«
»Genau die. Sind sie schon hier?«, fragte ich.
»Bestimmt. Sie kommen immer vor den Gästen. Man sieht sie nicht. Sie haben andere Wege, glaube ich.«
»Sie werden heute auftreten?«
»Klar, denn darauf warten alle.«
»Auf sie oder die Sünde«
»Auf beide«, flüsterte die Prinzessin der Nacht und schaute mir tief in die Augen. »Ich mag die Sünde ebenfalls«, erklärte sie mir. »Sie ist einfach wunderbar. Sie ist wie ein Tunnel, dessen Betreten verboten ist. Aber trotzdem macht sie Spaß. Euch nicht auch?«
»Klar.« Ich zwinkerte ihr zu. »Aber zunächst hören wir uns ihren Gesang an.«
Die Schöne der Nacht richtete ihren Blick auf die Bühne. »Lange wird es nicht mehr dauern. Dann werdet ihr erleben,
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