1160 - Das Gespenst von Dartmoor
auch als Sanitäter ausgebildet. Dort gehen wir hin, und dann sehen wir weiter.«
»Einige Tabletten werden reichen.«
»Mal sehen.«
Wir verließen die Kirche, und Randall führte mich über den Hof. Die Sonne war weitergewandert und stand im Westen. Aber es schoben sich bereits erste Schatten heran, die die Sonne dann fressen würden, um der Nacht wieder die Chance zu geben.
Es wurde auch feuchter, und ich konnte mir vorstellen, dass der Sumpf sehr bald die ersten abendlichen Dunstschwaden entlassen würde, die das Zuchthaus dann umhüllten wie die Seiten eines Leichentuchs.
Auch die Mücken würden kommen. Myriaden von ihnen. Mücken in dunklen Schwärmen mit einer schon vampirhaften Gier nach Menschenblut.
In einem der Trakte gab es einen Raum, in dem der Sanitäter seinen Dienst tat. Er war da, er drückte mich auf einen Stuhl und schaute sich die Beule an.
Als er anfing, von einer Gehirnerschütterung zu sprechen, wehrte ich ab. »Nein, die habe ich nicht. Wenn ich eine hätte, dann hätte ich es Ihnen schon gesagt. Das kann ich beurteilen.«
»Darf ich die Platzwunde mit der Beule denn behandeln?«
»Ja, das können Sie.«
»Nähen muss ich nicht.«
Er machte sich an die Arbeit. Er behandelte die Wunde mit irgendeiner Tinktur, die schon biss, sodass ich die Zähne zusammenpresste. Ich bekam noch Mull draufgepappt, und darüber wurde ein Pflaster geklebt.
»Jetzt noch ein paar Tabletten«, bat ich ihn. »Dann bin ich wieder halbwegs fit.«
»Okay, ich hole sie.« Der Mann verließ den Raum und schloss eine Eisentür auf, die zu einem Nebenzimmer führte.
Ich hockte auf der Liege. Randall stand am Fenster, die Sonne im Rücken, die noch durch die Scheibe fiel. Bisher war ich nicht dazu gekommen, ihm zu berichten, was mit seiner Tochter passiert war. Ich wollte zunächst einmal erfahren, was er in der Kirche zu suchen gehabt hatte.
»Ich suchte Fiona und…«
»Das dachte ich mir.«
»Wo ist sie denn?«
Ich hob den Blick und sah ihn für die Dauer mehrerer Sekunden nur an.
»He, was ist los, Mr. Sinclair? Warum sagen Sie nichts?«
»Fiona war in der Kirche. Und zwar mit mir zusammen. Jetzt ist sie nicht mehr dort.«
»Dann ging sie oder wie?«
»So kann man es nicht sagen, Mr. Randall. Sie verschwand zumindest nicht freiwillig.«
»Bitte? Was soll das denn heißen?«
»Man entführte sie.«
Dieser schlichte Satz raubte ihm die Sprache. Er brauchte auch nichts zu sagen, denn der Sani kam mit den Tabletten zurück und drückte sie mir in die Hand. »Zwei für den Anfang werden reichen. Sie können dann später noch mal zwei nehmen.«
»Danke.«
Ein mit Wasser gefülltes Glas bekam ich auch, und bald waren die Tabletten in meinem Magen verschwunden. Ich beobachtete den stellvertretenden Direktor und wollte wissen, wie er auf meine nicht sehr gute Nachricht reagierte. Er hatte sich zu Beginn geschockt gezeigt, doch jetzt wirkte er sehr nachdenklich. Da war von Panik und Furcht nichts zu bemerken.
Komisch…
»Danke«, sagte ich zum Sani und stand auf. Er half mir dabei, aber ich wollte es nicht. »Das kann ich alles allein. Ich schlage mich schon durch, keine Sorge.«
»Muten Sie sich trotzdem nicht zu viel zu.«
»Das liegt nicht an mir.«
Draußen hielt sich Randall an meiner Seite. »Am besten ist es, wenn wir in mein Büro gehen und darüber reden.«
»Wie Sie meinen.«
Ich hätte noch etwas gesagt, aber Randalls Handy klingelte. Eine kurze Melodie war zu hören, dann meldete er sich schon. Manche Menschen gehen ja beim Telefonieren weiter, um ihre Wichtigkeit zu demonstrieren oder ihren Terminstress. Das traf auf Randall nicht zu. Er blieb stehen, und auch ich hielt an.
Randall schaute während des Telefonierens zu Boden und schüttelte den Kopf. Er war noch bleicher geworden.
Ich versuchte, seine Antworten zu verstehen, doch sie bestanden nur aus knappen Ja's und einem Halbsatz. »Wir kommen.«
Erst als der Mann sein tragbares Telefon weggesteckt hatte, sprach ich ihn an. »Kann es sein, dass Sie schlechte Nachrichten erhalten haben, Mr. Randall?«
»Ja, das habe ich.«
»Welche?« Ich dachte sofort an Fiona, aber mit ihr hatte der Anruf nichts zu tun.
»Man hat einen weiteren Toten gefunden. In seiner Einzelzelle liegend. Jemand hat dem Mann die Kehle durchgeschnitten und ihn ausbluten lassen.«
Ich schloss für einen Moment die Augen. »Bitte?«, fragte ich dann. »Wo ist das passiert?«
»Im Strafflügel.«
»In den normalerweise niemand hineinkam - oder?«
»So
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