1160 - Das Gespenst von Dartmoor
öffnen. Auch das lief nicht normal ab. Sie zuckte einige Male mit den Augendeckeln, dann endlich traute sie sich den ersten Blick zu.
Um sie herum hingen oder wuchsen Pflanzen. Sie lag auf einem feuchten Boden und vernahm ein ungewöhnliches Gluckern in der Nähe, das ihr trotzdem nicht so fremd war. Manchmal hatte sie diese oder ähnliche Geräusche in Sumpfgebieten gehört, und auch das Zuchthaus lag inmitten eines Hochmoors, dessen größte Fläche allerdings trockengelegt worden war. Und trotzdem gab es noch einige Stellen, die als richtiger Sumpf bezeichnet werden konnten. Sie waren für Unkundige auch entsprechend gefährlich.
Fiona lag auf dem Rücken. Der Boden unter ihr war fest, aber nicht zu hart. Über ihrem Kopf sah sie das Geäst eines Baumes. Es war ein mächtiger Baum, dessen Wurzeln sich auch oberhalb der Oberfläche abzeichneten. Sie atmete nur leicht. Im Kopf spürte sie etwas, das sie nicht beschreiben konnte. Es war kein Gefühl, es waren auch keine Schmerzen, es war einfach anders. Es war einfach nur dumpf, und sie hatte den Eindruck, als wäre ihr Kopf um ein Mehrfaches gewachsen. Der Schatten und nur er trug daran die Schuld, aber er war nicht da, und auch von John Sinclair sah sie nichts.
Fiona war allein. Aber sie drehte nicht durch. Ihr war klar, dass dieses Alleinsein nicht lange andauern würde. Irgendwann musste jemand kommen und sich um sie kümmern.
Es ging ihr nicht einmal so schlecht. Die warme Frühsommerluft streichelte sie, aber der Wind brachte zugleich ein typisches Geräusch mit. Dieses hässliche Surren und Summen, als wären zahlreiche kleine Hubschrauber unterwegs.
Das stimmte natürlich nicht. Das Summen und Surren stammte von den Plagegeistern, die in der Luft herumtanzten und ihre feuchten Stellen verlassen hatten.
Mücken!
Für sie war die bewegungslose Frau das ideale Opfer. Sie tanzten um ihren Kopf herum. Sie suchten sich die Stellen auf der Haut aus. Sie tanzten kitzelnd auf dem Gesicht der Liegenden, stachen blitzschnell zu, flogen wieder weg, um Platz für Nachkömmlinge zu schaffen.
Fiona konnte nicht mehr auf dem Boden liegen bleiben. Es machte sie verrückt, von den Mücken umtanzt zu werden und einfach wehrlos zu sein. Mit einem heftigen Ruck richtete sie sich auf. Dabei wunderte sie sich, wie leicht das plötzlich ging. Sie spürte so gut wie kaum einen Schwindel.
Fiona schlug auch mit den Händen wild um sich, um die Mücken so vertreiben zu können, saß auf der Stelle, fuhr noch einmal an ihrem Gesicht entlang und ließ die Arme dann sinken. Sie wollte freie Sicht haben, um sich auf die Umgebung konzentrieren zu können.
Sie schaute nach vorn. Sie sah die Veränderung. Das Grün in ihrer Umgebung, vermischt mit dem Braun alter Rinden und Luftwurzeln des vor ihr in die Höhe ragenden Baumes.
Er warf sogar einen Schatten. Innerhalb des Schattens, umgeben von Luftwurzeln hockte eine Gestalt, als wäre sie mit dem Wirrwarr verwachsen.
Fiona erschrak. Der Anblick war so plötzlich erfolgt, dass er ihr den Atem raubte. Ihr wurde schwindelig. Sie war kaum in der Lage, die Tatsachen nachzuvollziehen, doch als der erste Schock vorbei war und sie sich besser konzentrieren konnte, da wurde ihr einiges klar. Da tauchte das Bild aus der nahen Vergangenheit auf, und sie konnte mit dem Schatten etwas anfangen.
Es war genau der, den sie schon einmal erlebt hatte. Der Schatten aus der Kirche, der letztendlich keiner war, sondern ein fester Gegenstand.
Sie schloss die Augen. Plötzlich wollte sie ihn nicht mehr sehen. Auf einmal kroch die Angst in ihr hoch.
Der Schatten hatte sie geholt. Jetzt bewachte er sie wie die Wärter die Häftlinge im Zuchthaus. Aber sie war nicht mehr auf dem Gelände. Sie und der Schatten hatten es verlassen, denn der Sumpf befand sich außerhalb.
Fiona bekam ihre Gedanken nicht mehr unter Kontrolle. Sie konnte sich zudem nicht vorstellen, was dieser Schatten, der in Wirklichkeit keiner war, von ihr wollte. Aber er war auch kein Mensch aus Fleisch und Blut. Das war einfach ein Monster, ein Monster aus dem Sumpf.
Oder ein Gespenst?
Sie war wieder in der Lage, klar zu denken, und da fiel ihr der Begriff das »Gespenst von Dartmoor« ein. Viel wurde darüber gesprochen, wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Aber es hatte die Morde gegeben, und die waren dem Gespenst in die Schuhe geschoben worden. Für die Häftlinge gab es keine andere Erklärung. Untereinander sprachen sie darüber, flüsternd und ängstlich. Da wurden selbst die
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