1160 - Das Gespenst von Dartmoor
entgegen. Sie konnte es auch nicht, denn sie war einfach zu schwach.
Auch ihr Körper löste sich leicht vom Boden, als das Untier den Arm noch weiter anhob. In der anderen Hand hielt es seine Waffe, und die bewegte sich plötzlich über Fionas Gesicht hinweg. Sie kam von oben her und senkte sich dabei.
Fiona konnte nicht schreien. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie ließ alles über sich ergehen und spürte zum ersten Mal die Klinge an ihrer Haut.
Sie war kalt. Sie lag um die Vorderseite ihres Halses wie ein Schal, der einen bestimmten Druck ausübte und seine Kälte über die Haut fließen ließ.
Und plötzlich hörte Fiona Stimmen. Es waren wieder die gleichen geisterhaften Stimmen, die sie schon in der kleinen Kirche vernommen hatte. Worte verstand sie nicht. Die Stimmen sprachen durcheinander. Sie umtanzten die Frau, und schienen wie Schlangen in ihren Körper einzudringen.
Sie waren nicht aufzuhalten, aber Fiona verstand plötzlich das eine oder andere Wort.
Eines war besonders wichtig.
Rache!
Zuerst glaubte sie, sich geirrt zu haben, doch als sich das Wort mehrmals wiederholte, wusste sie Bescheid. Das Monstrum war erschienen, um sich zu rächen.
Aber wofür? Und bei wem?
Auf diese Frage fand Fiona keine Antwort. Zudem war sie sich keiner Schuld bewusst, aber sie traute sich auch nicht, eine entsprechende Frage zu stellen.
Auch das Monstrum »meldete« sich nicht. Nur reagierte es auf seine Art und Weise.
Zuerst verschwand die Waffe von Fionas Hals. Dann wurde wieder ihr Arm umfasst, und einen Moment später zog das Monstrum Fiona in die Höhe. Sie wehrte sich nicht und war dann froh, auf den eigenen Beinen zu stehen.
Das Monstrum zerrte sie herum. Sie bewegte automatisch ihre Beine und ging neben ihm her.
Sie kam sich vor wie umzingelt. Sie war von zahlreichen Feinden umgeben, die sie überhaupt nicht sah, aber sie dachte immer wieder an die Stimmen.
Sie ging neben dem Monstrum her. Wohin, das wusste sie nicht. Vielleicht sogar tiefer in den Sumpf hinein, um für immer zu verschwinden…
***
Draußen dunkelte es bereits. Die Sonne hatte sich verkrochen. Nur noch ein letzter, rötlicher Streifen war im Westen zu sehen. Ansonsten hatten die blaugrauen Vorboten der Nacht die Oberhand gewonnen, und auch die ersten Nebelschleier waren lautlos herangeweht und trieben über den Hof des Zuchthauses hinweg.
Die Gefangenen steckten in ihren Zellen. Der normale Alltag im Zuchthaus lief auch jetzt ab, aber in einem Raum war es nicht normal, auch wenn es so aussah.
Es war das Büro des stellvertretenden Direktors, in dem vier Personen saßen.
Suko, Clyde Randall, Don Burton und ich. Keiner von uns sprach auch nur ein Wort, denn hinter uns lag so etwas wie ein Geständnis des Mannes, der hinter seinem Schreibtisch saß. Schweißgebadet und mit den Nerven am Ende.
Wir hatten von ihm eine Geschichte gehört, die unglaublich klang, aber bestimmt der Wahrheit entsprach, denn sie erklärte vieles.
Randall trank Wasser. Er hatte schon eine Plastikflasche geleert und griff jetzt zur zweiten. Was mit seiner Tochter passiert war, wusste er. Ich war nicht daran vorbei gekommen, es ihm zu erklären. Er hatte es mit stoischem Gleichmut aufgenommen und immer wieder abgewinkt.
Beim Trinken lief Wasser an seinem Kinn entlang. Er wischte es weg, nachdem die Flasche wieder auf seinem Schreibtisch stand. Dann nickte er uns zu. »Jetzt wissen Sie alles. Ich habe es Ihnen gesagt, und jetzt können Sie mich anklagen, abführen oder was auch immer. Aber ich konnte nicht anders handeln.«
»Darf ich fragen, Mr. Randall, weshalb Sie uns Bescheid gegeben haben?«, erkundigte sich Suko.
»Ja, dürfen Sie. Ich habe ja gewusst, dass Sie das Thema anschneiden würden. Ob Sie es glauben oder nicht, auch ich habe ein Gewissen. Ich wusste mir anders keinen Rat, wie ich das Grauen stoppen sollte. Deshalb rief ich Sie. Aber ich sehe ein, dass es falsch gewesen ist. Man hat mir meine Tochter genommen. Wenn ich sie wiedersehe, dann wird sie nicht mehr leben.«
»Das ist nicht klar«, sagte ich.
»Warum sollte sie am Leben bleiben? Die anderen sind doch auch getötet worden.«
»Ja«, bestätigte ich. »Aber Ihre Tochter ist in diesem Fall etwas Besonderes. Er hätte sie töten und in der Kapelle liegen lassen können, aber er hat es nicht getan.«
»Er wird weitermachen«, flüsterte Randall. »Ich weiß das. Er zieht es bis zum bitteren Ende durch. Ich habe ihn unterschätzt. Ich wollte all die Geschichten nicht glauben, die
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