1161 - Der Keim des Bösen
wissen, was dahinter steckte.
Die Besucher waren geflüchtet, aber nicht verschwunden. Sie standen jenseits der Insel, wie eine kompakte Masse, die das Entsetzen hatte einfrieren lassen.
Es war so unnatürlich still geworden. Natürlich gab es Stimmen und Geräusche, die aber schienen von weit her zu kommen, um sich dann in diesem Bau zu verlieren.
Es lag wohl an der Stille, dass ich die schrillen Trillerpfeifen der Bobbies und auch die Sirenen der eintreffenden Wagen so laut hörte. In den letzten Sekunden war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, nun aber, da sich die Gedanken wieder geordnet hatten, fiel mir ein, dass Jane und ich nicht allein in den Film gegangen waren. Wir hatten Lady Sarah als Begleiterin mitgehabt.
Ich drehte mich um.
Der erste Blick fiel über das Chaos aus gestürzten Stühlen und Tischen. Beim zweiten Hinschauen sah ich die Bedienung mit den rötlichen Haaren. Sie lag auf der Seite, und man schien sie wie eine Puppe in die Trümmer gelegt zu haben.
Ich räumte zwei Stühle mit Tritten ebenso zur Seite wie die Scherben der zerbrochenen Flaschen und Gläser, dann war ich bei ihr, sackte in die Knie, sah das noch junge Gesicht und zugleich die gebrochenen Augen.
Die junge Frau war tot. Der verdammte Amokschütze hatte sie erschossen. Dicht unter dem Hals war die Kugel in ihren Körper gedrungen und hatte dem Leben ein Ende gesetzt.
Mit einer behutsamen Bewegung schloss ich die Augen der Toten und drehte mich noch in der Hocke sitzend weiter.
Ich sah zwei Beine bis hoch zu den Waden. Zwei dunkle Schuhe ebenfalls, und ich wusste, zu wem sie gehörten.
Es war Sarah Goldwyn, die dort am Boden lag und sich nicht mehr rührte.
Von meiner Position aus gesehen wirkte sie wie tot.
Schlagartig verlor ich meine Gesichtsfarbe. Ich dachte plötzlich nach, wie alles angefangen hatte und erinnerte mich daran, dass Sarah Goldwyn noch aufgeschrieen hatte.
Sollte auch sie…
Ich stand auf. Irgendwo kamen Stimmen näher. Ich sah auch Jane Collins, die mit kalkbleichem Gesicht neben mir herging und fragte: »Das ist doch nicht wahr - oder?«
Ich hob nur die Schultern. Reden konnte ich nicht. Unter unseren Füßen zerknirschten weitere Scherben zu Glaskrümeln. Ich wünschte mir, nicht neben Sarah stehen bleiben zu müssen.
Dann tat ich es doch.
Sie war getroffen worden. Die verdammte Kugel musste sie während des Falls erwischt haben. Aber die steckte nicht in ihrer Brust, sondern höher und seitlicher in der Schulter.
Jane fiel vor mir in die Knie. Es war nur wenig Blut aus der Wunde gelaufen, so war also keine lebenswichtige Ader durchtrennt worden. Mit den Fingerspitzen fühlte Jane an der Halsschlagader entlang und nickte mir zu.
»Sie lebt, nicht?« Ich wollte es genau wissen.
»Ja. Sie ist nur bewusstlos.« Jane stand mit einer mühsamen Bewegung auf. »Und was ist mit der jungen Kellnerin?«
»Tot«, flüsterte ich.
»Mein Gott…«
Damit war unsere Unterhaltung beendet, denn die Kollegen waren zur Stelle. Sie kamen in großer Mannschaft, und natürlich waren wir innerhalb kürzester Zeit eingekesselt. Erste Fragen prasselten auf uns nieder, und als ich meinen Ausweis in die Höhe hielt, war es zunächst einmal ruhig.
Ich ging dorthin, wo der bewusstlose Killer lag. Von einem Uniformierten ließ ich mir Handschellen geben, die ich dem Schützen trotz allem anlegte.
Neben mir stand der Einsatzleiter. Zwei Ärzte in hellen Kitteln waren auch da. Jane kümmerte sich um sie und brachte sie zu Lady Sarah. Ich aber sagte zu dem Mann neben mir: »Der Schütze gehört mir. Oder besser gesagt, er gehört Scotland Yard.«
»Ja, Sir«, sagte er nur.
Für mich stand fest, dass der folgende Abend und auch die Nacht noch verdammt lang werden würden…
***
Zwei Stunden später!
Wir hatten den Schauplatz des Verbrechens verlassen, nachdem noch einige Formalitäten erledigt worden waren. Per Telefon hatte ich Suko und vor allen Dingen unseren Chef, Sir James, informiert.
Beide waren natürlich entsetzt und wollten wissen, wie es Lady Sarah ging.
Ich vertröstete sie auf später. Suko aber sollte bei dem Killer bleiben und ihn auf keinen Fall aus den Augen lassen. Er war nur bewusstlos. Wenn er erwachte, würde er uns Rede und Antwort stehen müssen. Ich ahnte bereits, dass dahinter mehr als nur dieser - ja, schon gezielte - Amoklauf steckte.
Er war gezielt gewesen. Im Nachhinein kam mir die Idee. Und plötzlich musste ich auch wieder an diese Frau mit den silberblonden Haaren
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