1168 - Nach den Regeln der Hölle
Er weiß jetzt, dass ich ähnlich reagiere wie mein Vater. Ich will einfach nicht zu der Familie gehören, obwohl sich das kaum mehr ändern lässt, und ich möchte auch nicht sterben.«
»Das wirst du nicht. Versprochen.«
Sie drehte sich scharf um. »Ich würde gern meiner Mutter begegnen. Es gibt sie ja noch.«
Auch ich hatte den Wunsch gehört.. »Sagen Sie mal, Alina, waren Ihre Eltern eigentlich richtig verheiratet? Praktisch mit Brief und Siegel? Ist es zu einer normalen Scheidung gekommen?«
»Darüber hat mein Vater nie gesprochen. Ich habe ja nur gehört, dass sie ihn verlassen hat.«
Das war ein Argument. Es würde schwer, wenn nicht unmöglich sein, eine Frau zu finden, von der nur der Vorname bekannt war und ansonsten nichts.
In die morgendliche Stille hinein meldete sich das Telefon. Damit hatte im Moment keiner gerechnet, so dass wir zu dritt zusammenschraken. Für Jane und mich war der Anruf bestimmt nicht, uns konnte man über die Handys erreichen.
»Für dich, Alina.«
»Nein. Wer sollte denn um diese Zeit…«
»Heb trotzdem ab«, bat Jane.
Alina zögerte noch. Sie bekam eine Gänsehaut und zog ihren Kopf zwischen die Schultern. Schließlich nahm Jane Collins den Hörer an und reichte ihn Alina entgegen.
Sie nahm ihn. »Ja…«
Jemand gab eine Antwort. Wir hörten die Stimme, konnten aber nicht verstehen, was sie sagte. Einen Moment später reagierte Alina auf ungewöhnliche Art und Weise. Ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, legte sie wieder auf. Zitternd blieb sie stehen und rieb die Hände gegeneinander.
Obwohl ich ahnte, wer angerufen hatte, fragte ich trotzdem: »Wer ist es gewesen?«
»Mein Onkel.«
Ich nickte nur. »Und? Was hat er gewollt?«
Alina zögerte die Antwort hinaus. »Ich weiß es nicht genau«, flüsterte sie, senkte den Kopf und schüttelte ihn. »Aber er hat sogar meine Mutter erwähnt…«
***
Damit hatten Jane und ich nicht gerechnet. Dementsprechend überrascht waren wir. Dass ihr Onkel anrief, okay, aber dass dieser Anruf mit Alinas Mutter in Zusammenhang stand, das musste eine tiefere Bedeutung haben.
Wir wollten Alina auch keinen Vorwurf machen, weil sie so rasch aufgelegt hatte. Der Schreck musste wie eine Flamme durch ihre Glieder gefegt sein.
»Deine Mutter?«, flüsterte Jane.
Sie nickte. »Ja, ja, ich verstehe es auch nicht. Aber das hat er gesagt.«
»Und was noch?«
»Keine Ahnung«, sprach sie vor sich hin. »Da hatte ich schon aufgelegt. Ich fand es besser so, denn ich konnte und wollte einfach nicht mit ihm reden.«
»Das ist alles sehr verständlich«, sagte ich zu Alina, »aber ich nehme an, dass er noch mal anrufen wird. Da sollten Sie sich dann schon anhören, was er zu sagen hat.«
»Warum denn?«, rief sie. »Warum, verdammt? Ich will nichts mit ihm zu tun haben, nie mehr!« Sie ballte vor Wut die Hände zu Fäusten.
»Das ist begreiflich, Alina. Doch Ihr Onkel wird das anders sehen. Es ist zwar nur ein Vergleich, ich benutze ihn trotzdem: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Er will zu einem Ergebnis kommen, Alina, und das wollen wir auch. Nur wird unseres anders aussehen.«
Alina schaute an mir vorbei wie jemand, der ein schlechtes Gewissen hat. »Okay, John, ich glaube Ihnen. Sie haben bestimmt Recht. Ich werde mich danach richten, und soll ich dann zu ihm gehen, wenn er einen Treffpunkt oder was weiß ich vorgeschlagen hat?«
Ich wollte ihr nicht die gesamte Hoffnung rauben und sagte: »Da warten wir zunächst einmal ab. Außerdem werden Sie nie allein sein, Alina. Irgendwo in Ihrer Nähe sind wir immer, auch wenn Sie uns nicht sehen. Es ist durchaus möglich, dass wir uns Verstärkung in Form meines Kollegen Suko holen, aber dazu müssen wir zunächst den zweiten Anruf abwarten. Ich bin überzeugt, dass sich Dorian bald meldet.«
»Ja, mal sehen…«
Wenn man auf einen Anruf wartet, wird die Zeit lang, auch wenn es etwas Unangenehmes ist. Das passierte uns in diesem Fall. Wir blickten öfter als gewöhnlich auf die Uhr, und Alina wurde dabei immer nervöser.
Ich holte mein Handy hervor. Er war mittlerweile nach sechs Uhr. Eigentlich hätte ich nach dieser Nacht müde und kaputt sein müssen, aber ich war wie aufgeputscht. Um diese Zeit würde ich weder Suko noch Shao aus dem Bett werfen, und so tippte ich mit einem ruhigen Gewissen Sukos Nummer ein.
Sehr schnell hörte ich Shaos weiche Stimme.
»Guten Morgen…«
»Du, John?«
»Ja, und ich bin auch nicht nebenan. Leider habe ich keine
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