1168 - Nach den Regeln der Hölle
gewusst haben.«
»Stimmt. Aber darüber hat er nie mit mir gesprochen. Er war verschlossen, was dieses Thema anging. Er war ein toller Vater, das betone ich immer wieder, aber er ging auch seinen eigenen Weg. Ich kann mich an Tage und Nächte erinnern, an denen er nicht zu Hause war. Er hat es stets mit geschäftlichen Besuchen und Terminen erklärt, doch ich weiß nicht, ob ich ihm da glauben soll. Ich bin seit einem Tag völlig unsicher und durcheinander.«
»Kanntest du denn einige Geschäftsfreunde von ihm?«
»Ja, Jane. Nicht alle, aber eine Hand voll schon. Nur - du musst das verstehen, es waren alles normale Menschen, und so denke ich auch heute noch. Ich glaube nicht, dass sich hinter ihren Gesichtern die Kreaturen der Finsternis verborgen haben. Sie waren die Vertreter bekannter Werbe-Agenturen, für die mein Vater gearbeitet hat. Ich glaube, dass dies eine Spur ist, die ins Leere führt und uns nicht weiterbringt. Die Tage und Nächte, die er nicht zu Hause verbrachte, sehen da schon anders aus.«
»Wo könnte er denn gewesen sein?« Jane kam noch einmal auf das Thema zurück und erntete nur ein Schulterzucken.
»Bei Ihrer Mutter?«, fragte ich. Der Gedanke war mir plötzlich gekommen.
»Nein, nie!«
»Was macht Sie so sicher, Alina?«
»Der Kontakt bestand nicht. Ich habe auch keine Erinnerung an meine Mutter. Sie ist kurz nach meiner Geburt verschwunden. Abgehauen mit einem anderen Kerl.«
»Das hat Ihnen Ihr Vater erzählt«, gab ich zu bedenken.
Alina setzte sich starr hin. »Moment mal. Heißt das, dass Sie mir nicht glauben?«
»Ihnen schon. Ob Ihnen Ihr Vater allerdings die Wahrheit gesagt hat, steht auf einem anderen Blatt.«
Mein letzter Satz hatte Alina verunsichert.
Alina zuckte die Achseln. »Tut mir Leid, aber ich weiß nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Was ist Wahrheit? Was ist Lüge…?«
»Kennst du denn den Namen der Mutter?«
»Sie hieß Michelle.«
»War sie Französin?«
»Keine Ahnung. Das glaube ich nicht. Sie stammte jedenfalls aus London. So viel weiß ich.«
Jane wandte sich an mich. »Kennst du eine Frau mit diesem Namen?«
»Nicht dass ich wüsste. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Kontakt ganz abgerissen ist.«
»Was denkst du denn?«
»Dass diese Michelle so etwas wie Mittel zum Zweck gewesen ist. Er wollte ein Kind, und er hat sich mit ihr zusammengetan. Möglicherweise haben die beiden sogar einen Vertrag geschlossen, in dem diese Michelle sich verpflichtet hat, weder Ansprüche an den Vater noch an das Kind zu stellen. So etwas gibt es ja.«
Alina hielt sich aus unserem Gespräch zunächst heraus. Jane klopfte gegen ihr rechtes Knie. »Wenn das so ist, könnte es unter Umständen Unterlagen geben.«
»Möglich.«
Die Detektivin schaute sich um. »Wir sitzen hier in seinem Arbeitszimmer. Es gibt einen Schreibtisch, und es wird möglicherweise auch Unterlagen geben. Kann ja sein, dass wir eine Spur finden. Oder wie siehst du das, Alina?«
»Nein. Daran habe ich nie gedacht. Ich habe auch nicht in den Unterlagen meines Vaters herumgewühlt. Das habe ich mich nicht getraut. Es kam mir vor wie eine indirekte Leichenschändung. Bitte, das kann auch keiner von mir verlangen.«
»Natürlich nicht. Dafür haben wir auch volles Verständnis. Aber gestattest du, dass wir uns hier ein wenig umschauen?«
»Bitte, wenn ihr wollt.«
»Wo bewahrte dein Vater seine Unterlagen auf? Ich meine, die persönlichen Dinge?«
»Im Schreibtisch. Ich glaube nicht, dass er ein anderes Versteck gehabt hat.«
»Danke, Alina.« Jane Collins stand auf. »Hilfst du mir bei der Suche, John?«
»Klar.«
Ich schaltete zusätzlich noch die Schreibtischleuchte ein, um mehr Licht zu haben. Es war ein normaler Arbeitsplatz, wenn auch größer als viele andere. Den Platz brauchte man, denn auf dem Schreibtisch hatte für einen großen Computer Platz geschafft, werden müssen.
Rechts und links gab es die einzelnen Etagen. Sie waren in Schubladenfächer eingeteilt.
Jane schaute an der linken, ich an der rechten Seite nach. Viel fanden wir nicht. Vor allem Unterlagen, die mit seiner Arbeit als Grafiker zusammenhingen. Ich entdeckte Angebote und noch nicht abgeschickte Rechnungen, sah auch einige mit der Hand schnell gezeichnete Skizzen und Entwürfe, aber ich fand nichts, das auf sein persönliches Leben hingedeutet hätte.
Jane war mit ihrer Arbeit fertig und hatte sich den auf dem Schreibtisch liegenden Kalender vorgenommen, den sie durchblätterte. Sie zuckte immer
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