1170 - Baphomets Beute
sehen, was nicht unbedingt stimmen musste, auch wenn sich die Gestalt nicht regte. Sie besaß einen starren und bläulich schimmernden Körper, der zwar glatt war, an manchen Stellen sogar wie geschliffen wirkte, aber zahlreiche Muskeln aufwies. Die Muskeln malten sich genau an den richtigen Stellen ab. Sie sahen aus wie starr gewordene Wellen. Der Körper besaß einen Waschbrettbauch und Beine mit mächtigen Oberschenkeln und auch hervorstehenden Waden. Kräftige Arme, ebenso kräftige und breite Hände, und dann waren es die Adern, die Suko widerlich fand, sodass er sich regelrecht durch ihren Anblick geschockt fühlte.
Sie durchzogen den Körper wie ein Netz. Von oben nach unten, von rechts nach links, vom Hals bis hin zu den Füßen, überall malten sie sich ab. Sie drückten sich aus der Haut oder dem Stein hervor, und sie schimmerten in einem dunklen Rot, als wären sie mit altem Blut gefüllt.
Suko war einen Schritt zurückgewichen. Er wartete einige Sekunden ab und ging dann wieder die gleiche Distanz nach vorn, weil er sich genauer mit dieser Gestalt beschäftigen wollte.
Jetzt, aus der Nähe gesehen, stellte er fest, dass die Adern nicht so starr waren wie der übrige Körper. In ihnen bewegte sich tatsächlich etwas, und Suko ging einfach davon aus, dass es sich dabei um Blut handelte.
Stein und Holz?
Das wollte er nicht mehr glauben. Deshalb streckte er auch seine Hand aus. Zum ersten Mal kam es zu einer Berührung zwischen dem Menschen und der Gestalt. Es war auch kein Holz, aus dem der Kopf bestand, sondern Stein.
Bernstein?
Das konnte sein, denn so hell sah der tierische Schädel des Geschöpfs auch aus.
Für Suko stand fest, dass er es hier nicht nur mit einer aufgestellten Dämonenfigur zu tun hatte. Das war mehr, denn bei einem Denkmal hätten sich keine Adern abgezeichnet, und es wäre darin auch kein Blut geflossen.
Die Gestalt enthielt Leben. Sie war ein Dämon, und ihr Aussehen wies auf einen bestimmten Dämon hin, auch wenn der hier von dem Original abwich.
Ein Name war Suko durch den Kopf gegangen. Der wollte ihn nicht mehr loslassen, und so flüsterte er vor sich hin, was rein automatisch geschah, ohne dass Suko näher darüber nachgedacht hätte.
»Baphomet…?«
Suko erhielt die Antwort. In den Augen sah er für einen winzigen Moment ein Zucken oder Flackern. Er war sich nicht sicher. Nur wusste er aus Erfahrung, dass nicht alles auf der Welt tot war, das auch so wirkte. Es gab Leben. Dämonisches Leben, das die Welt und die Menschen nicht brauchten. Deshalb waren Suko und sein Freund John angetreten, diese Existenzen auszuschalten.
Auch in diesem Fall gab es für den Inspektor keine andere Wahl. Wenn die Gestalt ihr Leben und ihre Kraft intensivierte, wuchs die Gefahr für unschuldige Menschen ins Riesenhafte. Das wollte Suko keinesfalls riskieren.
Suko hatte schon schrecklichere Gestalten gesehen, das gab er zu. In diesem Fall war der Schrecken mehr subtil, und er hing auch mit einer gewissen Vorstellungskraft zusammen. Wenn dieses Wesen richtig lebte, dann hatten sie wieder einen neuen Baphomet geschaffen, den Götzen, der von einer Gruppe von Templern verehrt wurde, die einen anderen Weg eingeschlagen hatten und mit der Hölle paktieren wollten.
Es war auch überraschend für Suko, dass dies hier mitten in London hatte geschehen können. Sogar an einem belebten Ort. Normal wäre es gewesen, hätte man diese Gestalt in einer fernab gelegenen Gegend unheimliches Leben eingehaucht.
Sie war solo da.
Es fehlte das Kind!
Darüber machte sich Suko ebenfalls Gedanken. Wie passte das Neugeborene mit dieser kalten Figur zusammen? Warum war es überhaupt geboren worden? Um wieder geopfert zu werden?
Es gab einfach zu viele Fragen auf einmal. Suko fühlte sich zudem wie ein Mensch, der in tiefes Wasser geworfen worden war, ohne richtig schwimmen zu können. Zwar hatte ihn sein Freund John Sinclair informiert, doch leider nicht umfassend. Und ihm war es jetzt gelungen, genau das zu finden, wonach Jane Collins und John Sinclair bestimmt suchten. Er hatte das Ziel erreicht.
War es deshalb auch richtig, wenn er versuchte, die Figur zu zerstören?
Er überlegte noch und hörte wieder die Stimme des Gehörnten. »Wo ist das Kind? Wo ist das Kind…?«
Suko, dessen Hand bereits die Peitsche berührte, rutschte wieder ab. Er merkte, dass es ihm kalt den Rücken hinablief. Der Götze und das Kind. Es war beides wichtig. Er wollte es haben. War er der Vater? Nein, daran glaubte Suko
Weitere Kostenlose Bücher