1170 - Baphomets Beute
sein breites Maul und wiederholte den Namen.
Diesmal sehr langsam. Er betonte dabei jeden einzelnen Buchstaben. Julia ließ ihn nicht aus den Augen. Sie wollte alles ganz genau wissen und las es ihm von den Lippen beinahe ab.
»Baphomet!«
Obwohl Julia den Namen verstanden hatte, schüttelte sie leicht den Kopf, denn sie konnte nichts damit anfangen. Er war ihr fremd. Gleichzeitig ahnte sie, dass er für sie persönlich noch sehr bedeutungsvoll werden würden.
»Was ist das?«, fragte sie leise.
Das Wesen bewegte seine Arme. Es schabte mit den Händen über den Körper hinweg. Es hatte die Finger gekrümmt. Die spitzen Nägel rutschten über die Haut hinweg, als wollten sie blutige Streifen darin hinterlassen. Mit dieser Nervosität konnte Julia nichts anfangen. Sie flüsterte: »Sag doch was!«
»Muss hin!«
Sie schluckte. »Jetzt? Heute? Sofort?«
»Ja, muss.«
»Ist gut. Ist schon gut. Ich… aber ich weiß nicht, was Baphomet ist. Ich weiß nicht, wohin?«
»Führe dich.«
Julia nickte nur. Obwohl ihr Kind erst einen Tag alt war, nahm sie es hin, dass es sprechen konnte, als wäre es schon zwei oder drei Jahre alt. Sie wollte es auch nicht unbedingt als Kind bezeichnen.
Es war ein Wesen, eines, mit dem sie zurechtkommen musste. Es war kein direktes Teil von ihr, obwohl sie es geboren hatte. Dennoch fühlte sie sich ihm gegenüber verpflichtet.
»Baphomet«, flüsterte sie.
Dieses eine Wort hatte sie nur zu sagen brauchen, um eine bestimmte Reaktion zu erleben. Der andere öffnete den Mund. Was bei einem normalen Baby ein Lachen gewesen wäre, das verließ seinen Mund als hartes Krächzen. Es war ein Geräusch, das man einfach nicht hören konnte, doch Julia lächelte nur. Sie verdrehte die Augen, streichelte jetzt das Gesicht, indem sie mit beiden Händen flach an den Seiten des breiten Kopfes entlangfuhr.
Wieder veränderten sich die Augen. Sie bewegten sich zu verschiedenen Seiten hin, obwohl sich keine Pupillen in ihnen abzeichneten. Sie waren so strahlend und zugleich so kalt, aber tief in der Kehle entstand ein Geräusch, das Julia nicht fremd war. Es war vergleichbar mit dem Schnurren einer Katze, die sich auf ihrem Lieblingsplatz unheimlich wohl fühlte. Das Wesen bewegte auch den Kopf wie die Katze. Es schob ihn so nach vorn und zugleich zur Seite hin, dass es die Stirn gegen die Arme drücken konnte.
Nichts war mehr mit Schmerzen. Nichts mit einem dumpfen und bösen Gefühl. Alles lief so wunderbar. Julia kam sich vor, als hätte sie ihre Seele freigelegt. Sie jubelte innerlich. Sie war so zufrieden, und sie fühlte sich beinahe wie eine Mutter, die ein normales Kind in den Armen wiegte.
»Das ist Wahnsinn«, flüsterte sie. »Das ist einfach so wunderbar. Es ist mein Kind, und es liebt mich…«
Ob es tatsächlich Liebe war und ob das »Kind« überhaupt fähig war, Liebe zu vermitteln, das wusste sie nicht mit aller Klarheit zu sagen. Julia wollte auch nicht länger darüber nachdenken. Sie nahm es einfach hin.
Bis das namenlose Wesen seinen Kopf zurückzucken ließ. Plötzlich war die »Schmusestunde« vorbei. Das Zucken strömte auch durch den Körper bis hinein in die Hände. Dort bewegten sich die Finger und die Krallen ebenfalls. Sie stachen in das Fleisch der Hände und hinterließen dort kleine Wunden. Julia spürte, wie Blut aus den winzigen Löchern rann.
»Baphomet!«
Er hatte den Namen nicht vergessen.
»Ja, ich weiß. Wann?«
»Sofort!«
Da wusste Julia, was sie zu tun hatte. Sie hob ihr »Kind« an, stellte es neben das Bett, erhob sich, reckte sich im Sitzen und fühlte sich pudelwohl. Die Verbindung zum Tropf zerrte sie los. Ihr war jetzt alles egal. Was das namenlose Wesen wollte, das würde sie tun.
Sie stieg aus dem Bett. Das Wesen blieb noch auf der Erde. Es verfolgte allerdings jede Bewegung der Frau, die zu einem schmalen Schrank ging und ihn öffnete.
Genau dort fand sie die alte Kleidung. Nur war sie blutig. Sie hatte sie im Knast getragen. Es würde auffallen, wenn sie so durch das Krankenhaus schritt.
Ein Fluch drang über ihre Lippen. Zugleich spürte sie einen Luftzug im Nacken.
Julia führ herum.
Die Tür war geöffnet worden, und auf der Schwelle stand Nancy, eine Krankenschwester…
***
Das Tuch oder das Gewand flatterte zu Boden, sodass Suko einen freien Blick auf den Körper erhielt. Er hatte ja mit einigem gerechnet, aber nicht mit dem, was er tatsächlich zu sehen bekam. Im ersten Augenblick glaubte er daran, eine Steinfigur vor sich zu
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