1176 - Der unheimliche Leichenwagen
stellen wollte. Eine andere Neugierde plagte ihn stärker. Er wollte herausfinden, ob der Sarg leer oder mit einer Leiche gefüllt war. Das ließ sich leicht am Gewicht feststellen.
Noch hatte er nicht zugegriffen. Er fühlte sich auch in dieser Stille nicht wohl, und manchmal rieselte ein Schauer über seinen Rücken.
An seine Freundin dachte er nicht mehr. Bis er ihre Stimme hörte, die seinen Namen rief.
»Rio!«
Sehr deutlich war ein zittriges Timbre zu vernehmen gewesen. Für die Dauer eines Herzschlages lang blieb er unbeweglich stehen. Dann fuhr er aus seiner gebückten Haltung herum.
Die Gestalt stand vor dem Wagen!
Der Schrei brandete in ihm hoch, aber er stieß ihn nicht mehr aus. Mit offenem Mund blieb er stehen.
Es war grauenhaft. Die Gestalt trug eine dunkle Kutte. Der Stoff war noch schwärzer als die Nacht.
Die Kapuze bedeckte den Kopf, aber sie ließ das Gesicht frei, von dem nicht mehr zu sehen war als ein matter, heller und auch konturenloser Fleck. Er sah keine Augen, keine Nase und auch keine Lippen. Die Kutte schien einfach nur über eine Masse gestreift worden zu sein, aber nicht über einen Körper, zumindest über keinen normalen.
Rio hörte wieder den Ruf seiner Freundin. Er achtete nicht darauf, weil ihn der andere Anblick zu sehr in seinen Bann zog und Angst in ihm hochsteigen ließ.
Das Zittern konnte er nicht unterdrücken. Aus seinem Mund floss das Atmen wie ein Hecheln, und er merkte auch etwas von der Kälte, die diese Gestalt ausströmte.
Auch das war für ihn nicht normal und nicht zu erklären. Er fand sich plötzlich in dieser Welt nicht mehr zurecht und bekam den Eindruck, vom Tod besucht worden zu sein.
Und der Tod kam näher!
Es war kein Laut zu hören, als er sich bewegte. Er schien den Boden überhaupt nicht zu berühren.
Nur die Kutte warf Wellen, als die Gestalt in den Wagen einstieg.
Sie war noch nicht zu nahe bei Rio. Sie konnte ihn nicht berühren. Er hätte noch die Chance gehabt, an der gegenüberliegenden Seite den Wagen zu verlassen und zu Boden zu springen. Warum er das nicht tat, wusste er selbst nicht. Es konnte an der Gestalt liegen, deren Anblick ihn bis ins Mark getroffen hatte.
Auch jetzt, da der Unheimliche noch näher gekommen war, veränderte sich sein Gesicht nicht. Da trat nichts deutlicher hervor. Es blieb so wie eine graue Plastikmasse.
Der nächste Ruf.
Rio schaute zum Fiat hin. Dort saß Carina nicht mehr normal im Wagen. Sie war halb ausgestiegen und hatte schon einen Fuß auf die Straße gestellt. Aber sie traute sich nicht, zum Oldtimer zu kommen, um ihrem Freund zu helfen.
Es war schon seltsam. Erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Er hätte schon längst verschwinden können, und nun war es zu spät, denn plötzlich griff eine ebenfalls graue Hand nach ihm.
Rio wollte sich noch zur Seite drehen, aber er war zu langsam. Die Hand erwischte ihn am linken Bein in Höhe der Wade. Zuerst spürte er diese trockene Kälte, dann konnte er dem plötzlichen Ruck nichts mehr entgegensetzen, Der unheimliche Mönch zerrte ihn zurück. Er konnte sich nicht halten.
Er rutschte ab, seine Hände glitten über das Leder an der Rückenlehne und dann packten die kalten Totenfinger erneut zu. Diesmal umfassten sie seine Hüfte. Er wurde angehoben und gedreht, sodass er auf den Sitz fallen konnte.
Rio war kein Schwächling. In diesem Fall ließ er alles mit sich geschehen, denn die verfluchte Kälte hielt seinen Körper umklammert und machte ihn steif.
Er bewegte sich nicht. Er schrie auch nicht um Hilfe. Der Mann saß wie eine Puppe auf dem Beifahrersitz, während neben ihm die graue Hand nach dem steckenden Zündschlüssel griff, um den Motor anzustellen. Der Anlasser befand sich nicht außen und brauchte auch nicht gedreht zu werden, wie es bei ganz alten Automobilen der Fall war, hier ging es besser.
Nicht nur das Fahrzeug selbst war von außen topp, auch das Innere funktionierte.
Ein paar Mal ruckte das Fahrzeug, dann konnte es bewegt werden. Der Unheimliche hinter dem Lenkrad musste das Steuer schon scharf einschlagen, um nicht im Graben zu landen. Da der Wagen leicht schräg stand, war es ihm auch möglich.
Er fuhr an.
Hinter dem Lenkrad saß eine Gestalt, wie es sie nicht geben konnte und fuhr mit Rio Redcliff davon…
***
Das ist alles nicht wahr. Das träume ich. Das gibt es nicht. Das kann es nicht geben. So etwas passt nicht in unsere Welt. Das gehört in den Bereich der Märchen,
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