1176 - Der unheimliche Leichenwagen
hineingesprungen. Obwohl sie in ihrem Auto saß, kam sie sich vor wie auf einer weit entfernt liegenden Insel. Ganz allein, von versteckten Gefahren umgeben.
Als sie mit der Zungenspitze über die Lippen leckte, spürte sie, wie trocken sie geworden waren.
Zugleich meldete sich der Verstand zurück. Und der sagte ihr, dass etwas unternommen werden musste. Nicht von anderen, sondern von ihr. Sie konnte einfach nicht hier hocken und auf Hilfe warten. Von allein würde sie nicht kommen.
Carina war trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre eine Frau, die genau wusste, welche Prioritäten sie zu setzen hatte. Sie arbeitete in einer kleinen Bank in Beckton. In ihrem Job hatte sie gelernt, logisch zu denken. Zahlen spielten in ihrem Berufsleben eine große Rolle, und dieses Denken kam ihr jetzt zugute.
»Ich brauche Hilfe!«, flüsterte sie vor sich hin. »Und nicht nur ich, sondern auch Rio.« Wohin ihn der unheimliche Fahrer gebracht hatte, darüber brauchte sie sich keine Gedanken zu machen. Zu einem Resultat würde sie sowieso nicht kommen. Sie konnte ihn auch nicht suchen. Andere mussten sich darum kümmern.
Da gab es nur eine Lösung - die Polizei!
Als ihr dieser Gedanke kam, musste sie plötzlich lachen. Carina stellte sich vor, wie sie auf der Wache saß und den Beamten berichtete, was sie erlebt hatte. Die würden sie für verrückt halten. Besonders dann, wenn sie in den frühen Morgenstunden bei ihnen erscheinen würde.
Es gab die Regel, dass man über ein Problem schlafen sollte. In Carinas Fall traf das nicht zu. Einschlafen würde sie nicht können, aber nachdenken. Vielleicht wussten ja auch ihre Eltern, bei denen sie noch wohnte, einen Rat. Ihr Vater war Einsatzleiter bei der Feuerwehr. Ein besonnener und ruhiger Mann, mit dem man reden konnte. Das war schon immer so gewesen. Selbst als kleines Kind und später als Teenager war Carina mit ihren Sorgen und Nöten zu ihrem Vater gegangen. Und der hatte immer eine Lösung in der Hinterhand gehabt. Es war zwar selten der einfachste und bequemste Weg gewesen, doch nachdem alles vorbei gewesen war, hatte sie sich immer erlöst und wohler gefühlt.
Mit diesem Gedanken startete sie den Fiat. Das Licht hatte im Stehen nicht zu lange gebrannt. Die Batterie tat es noch, und so rollte die junge Frau die Straße weiter hinab und aus der engen Kurve hervor.
Jetzt lag die Gerade vor ihr. Eine lange Strecke, die tagsüber gut zu überschauen war.
Diesmal war es Nacht. Da drückte die Dunkelheit wie ein Schwamm auf den Asphalt.
Carina Thomas fuhr nicht schnell. Und sie hielt die Augen offen. Sie suchte nach diesem alten Leichenwagen, doch sie sah weder seine Scheinwerfer noch die Rückleuchten.
Den Gedanken an Rio wurde sie einfach nicht los. Mit jeder Minute, die verstrich, wuchsen ihre Sorgen…
***
Suko, der nicht fuhr, schüttelte den Kopf, bevor er sprach. »Ist das Zufall oder Glück, John, dass sich Sir James gemeldet hat?«
Eine direkte Antwort konnte ich ihm auch nicht geben. »Da folgt wahrscheinlich eins auf das andere. Jedenfalls haben wir hier schon richtig gesucht.«
»Bei Victor Rossiter?«
»Auch.«
»Ihm traue ich nicht.« Suko zuckte die Achseln. »Kann auch eine Angewohnheit von mir sein. Wer einen derartigen Job ausübt, kann seine Hände überall drinstecken haben. Man kann mit Leichen Geschäfte machen. Da stimmst du mir doch zu?«
»Ja.«
»Man kann sie an Ghouls abgeben, um sich Vorteile zu verschaffen. Man kann sie irgendwelchen obskuren Forschern überlassen, damit die ihre Experimente wagen können. Ich denke da nur an diesen Professor Conroy vom letzten Fall, obwohl ich nicht glaube, dass dieser ähnlich verlaufen wird. Man weiß es nicht genau. Das Schicksal zieht manchmal sehr krumme Bahnen.«
Jedenfalls hatte sich meine Laune gebessert. Es war jetzt wichtig für uns, eine Spur zu haben. Ich war auf die Zeugin gespannt. Sie hatte zwar keine Leiche gestohlen, aber ihre Beobachtung konnte in einem Zusammenhang mit dem Fall stehen. Obwohl Sir James nicht allzu viel mitgeteilt hatte, war das Erlebnis doch mehr als interessant für uns. Immer unter der Voraussetzung, dass diese junge Frau sich nichts eingebildet hatte. Es war auch gut, dass sie sich bei den Kollegen in Beckton gemeldet hatte.
Den Ort hatten wir schnell erreicht. Wir sahen auch den Fluss, der sich durch sein breites Bett schob und es nicht mehr weit bis zur Mündung hatte. Da wir aus Richtung Norden kamen, war die Gegend am Wasser zu weit entfernt, um sie näher in
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