118 - Der Unersättliche
erfolgreich gegen die Seferen eingesetzt, ohne daß es zu verheerenden Nebeneffekten gekommen war. Überhaupt ließ sich der Spiegel auf Malkuth - von wo er auch stammte - bei kleineren Einsätzen erfolgreicher und risikoloser anwenden als auf der Erde.
Als Dorian den Spiegel vor sein Gesicht hob, wurden die Stimmen der beiden Seferen schrill und höher, bis sie schließlich verstummten.
Gleichzeitig erlosch das Glühen ihrer Augen - und sie schienen zu schrumpfen, während sie gleichzeitig auf Dorian zustürzten. Dorian hielt den Spiegel fest umklammert. Es war für ihn nicht mehr überraschend, daß die Seferen magisch davon angezogen wurden und schließlich für immer in ihm verschwanden.
Diesmal war jedoch ein Hindernis zwischen ihnen und dem Spiegel, nämlich die Blasenhülle. Als die schrumpfenden Seferen dagegenprallten, barst sie in tausend Fetzen.
Dorian war darauf gefaßt, daß ihm der Boden plötzlich unter den Beinen weggerissen wurde. Er landete sicher auf den Füßen.
Die sechs Menschen wichen vor ihm wie vor einem Gespenst zurück. In ihren gequälten Gesichtern spiegelten sich Verständnislosigkeit und Angst.
„Ihr habt nichts von mir zu befürchten", sagte Dorian. „Ich bin ein Mensch wie ihr. Ich will euch helfen."
Sie schüttelten wie auf Kommando die Köpfe. Ein kleiner Japaner sagte aus dem Hintergrund: „Ohne Ihr Eingreifen wären wir vielleicht bald erlöst worden."
Dorian war erschüttert. Was mußten diese Menschen durchgemacht haben, daß ihnen der Tod - in welcher Form auch immer - als einzige Alternative erschien.
Sie waren übel zugerichtet. Verstümmelt der eine, wie von Säure zerfressen eine Frau, mit frei sichtbaren Innenorganen ein dritter … Nur die Magie der Janusköpfe konnte diese erbarmungswürdigen Geschöpfe noch am Leben erhalten.
„Wir werden versuchen, euch zur Erde zurückzubringen", rief Coco hinter Dorian. „Zuerst müssen wir aber einen sicheren Ort finden, wo wir euch verstecken können."
Eines der Phänomene von Malkuth war, daß sich hier alle miteinander verständigen konnten, welche Muttersprache sie auch hatten. Eine Frau - der Kleidung nach eine Europäerin - begann, schrill zu lachen.
„Zurück zur Erde, sagt sie!" rief sie dann mit sich überschlagender Stimme. „Und wo sind wir jetzt?"
Und sie lachte weiter hysterisch.
Sie verstummte erst, als der Boden unter ihnen konvulsivisch zu zucken begann und sie von den Beinen riß. Sie fielen durcheinander. Coco haltsuchende Hände bekamen etwas Weiches zu fassen, und erst zu spät erkannte sie, daß sie sich an das Herz des Mannes mit den freiliegenden Organen klammerte. Er schrie wie am Spieß.
Dorian versuchte, auf allen vieren fortzukriechen. Doch jemand klammerte sich verzweifelt an ihn. Kether wurde von schweren Erschütterungen heimgesucht. Vor ihnen wölbte sich der Boden in die Höhe und stieß mit der Wand zusammen. Einer der Unglücklichen, die für die Janusköpfe nichts weiter als Versuchskaninchen waren, wurde zwischen den zuckenden Fleischmassen erdrückt.
Als die Beben endlich nachließen, erschienen zwei Janusköpfe. Dorian gab Coco durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie sich ruhig verhalten solle.
Die beiden Janusköpfe starrten mit ihren ausdruckslosen Knochengesichtern auf das Häufchen Todgeweihter - und dann auf den Toten. Einer machte einige Zeichen in die Luft. Ein Schlund öffnete sich in der Wand und verschlang die Leiche.
„Mitkommen", sagte der andere Januskopf.
Die Versuchspersonen erhoben sich und folgten den beiden Janusköpfen. Dorian und Coco schlossen sich ihnen an.
Die beiden Janusköpfe waren sich ihrer Gefangenen so sicher, daß sie sich kein einziges Mal nach ihnen umblickten.
Coco warf Dorian einen fragenden Blick zu. Er reagierte nicht darauf.
Der Dämonenkiller wußte selbst, daß es ihre vordringlichste Aufgabe war, Olivaro zu finden - und dann zur Erde zurückzukehren. Sie mußten an Olivaro herankommen, bevor dieser in einen unbekannten und für sie unzugänglichen Bereich der Januswelt abgeschoben wurde, um dort im Sinne seiner Artgenossen „geheilt" zu werden.
Im Augenblick versprach sich Dorian jedoch mehr davon, sich unter die Opfer der Janusköpfe zu mischen, als auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Abgesehen davon, daß er keine Ahnung hatte, wo sich Olivaro aufhielt, schadete es nichts, wenn er sich eine kleine Atempause verschaffte.
Im Schutze der Janusköpfe waren sie vor den Auswirkungen von Kethers Krise auf jeden Fall
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