1185 - Im Schloss der Skelette
griff in die Tasche und holte ein Tuch hervor. Damit wischte er über seine Stirn hinweg.
Die Schlieren waren aus dem Würfel verschwunden. Ich zog ihn zu mir heran und ließ meine Hände an den Seiten liegen. Sie waren noch warm, und ein leichtes Kribbeln durchrann meine Fingerkuppen, aber das war bald verschwunden.
Der Templer nickte mir zu. Er lächelte sogar und räusperte sich. Die Wirtin kam zu uns an den Tisch und stellte den alten Pflaumengeist ab.
»Wohl bekomm's, Monsieur.«
»Merci.«
»Sie auch, Abbé?«
»Nein, nein, für mich nicht, danke.«
Er schaute zu, wie ich die ersten kleinen Schlucke nahm und genießerisch das Gesicht verzog. Das Getränk besaß die Farbe von reinem Cognac, aber das Aroma der Frucht schlug voll durch.
»Ich denke, dass wir genau richtig sind«, sagte der Abbé mit leiser Stimme.
»Und warum glaubst du das?«
»Es ist etwas passiert. Ich habe geisterhafte Gestalten gesehen. Sie kamen leider nicht voll durch, aber sie besaßen schon menschliche Körper.«
»Und weiter?«
»Eine Frau. Ein Wohnmobil. Im Wald. Nahe dieser Gestalten. Ich denke, dass sie in Gefahr schwebt.«
»Und was ist mit dem Schloss?«
Der Abbé hob die Schultern. »Tut mir leid, das habe ich nicht gesehen. Auch nicht die beiden Männer, deren Leichen eigentlich dort liegen müssten. Es war eine andere Spur, aber das Schloss muss etwas damit zu tun haben. Da bin ich mir sicher.«
»Dann müssen wir hin!«
Er schaute mich so seltsam an, dass ich den Kopf schüttelte und fragte: »Nicht?«
»Nein, John. Oder doch. Wir müssen uns aufteilen. Du wirst dich um die junge Frau kümmern. Ich werde mich auf die Suche nach dem Schloss machen.«
»Allein?«
»Vergiss Lucien nicht.«
»Gut, dann also getrennt. Mal eine andere Frage. Kennst du die Frau, und weißt du, wo ich sie finden kann?«
»Genau das ist das Problem«, sagte er mit traurig klingender Stimme.
»Gib mir eine Beschreibung.«
Viel konnte er mir nicht sagen. Ich wusste, dass sie noch recht jung und auch dunkelhaarig war und dass sie in einem Wohnwagen lebte. Ich ging zudem davon aus, dass er nicht zu weit von diesem Ort entfernt stand. In den Dörfern herrscht eine andere Kommunikation als in den Großstädten, so war meine Idee gar nicht schlecht. Ich setzte sie sofort in die Tat um.
Ziemlich heftig stand ich auf. Der Stuhl rutschte zurück, und ich war mit wenigen Schritten an der Theke, hinter der die Wirtin mit einem Handy telefonierte. Sie schaltete den Apparat aus, als sie mich sah.
»Was kann ich für Sie tun, Monsieur?« fragte sie lächelnd.
»Nur eine Auskunft.«
»Bitte.«
Ich legte ihr mein Problem offen. Noch während ich sprach, wusste ich, dass mich mein Glück nicht im Stich gelassen hatte. Ihrem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass sie mir eine Auskunft geben konnte.
»Ja, das ist Claudine Gatz.«
»Ah - Sie kennen sie?«
»Selbstverständlich. Sie kommt oft in unsere Gegend. Sie ist eine Schriftstellerin, die gern ihre Ruhe hat und im Jahr mehrmals in unserer Gegend erscheint. Eine wirklich nette Person.«
»Wissen Sie auch, wo ihr Wagen steht?«
»Immer am gleichen Ort. Das ist zwar nicht rechtens, aber wer kümmert sich schon darum?«
»Bitte, ich muss sie sprechen.«
Auch jetzt blieb die Wirtin nett, obwohl ich ein Fremder war. Sie erklärte mir haarklein, wie ich fahren musste, und wünschte mir viel Glück.
»Danke, Madame. Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
»Keine Ursache. Hier ist man eben noch hilfsbereit.«
Auch der Abbé hatte sich bereits erhoben. Ich sagte ihm, dass alles klar war.
»Wunderbar, John. Dann gehe ich jetzt hoch aufs Zimmer. Ich glaube schon, dass wir uns an diesem Schloss treffen. Den Weg habe ich dir ja erklärt.«
»Habe ich auch behalten.«
»Gut.«
Er hielt mich an der Schulter fest. »Ich wollte dir noch etwas sagen, mein Lieber.«
»Und was?«
Er musste schlucken und presste die Antwort ziemlich hervor. »Ich habe Blut gesehen, eine Menge Blut.«
»Wo genau?«
»Ein Omen, John, nicht mehr. Aber vergiss es nicht.«
»Und du auch nicht«, sagte ich.
»Keine Bange.«
Unser Plan war zerrissen worden. Eigentlich hatten wir vorgehabt, gemeinsam zu fahren, doch jetzt sahen die Dinge anders aus. Sie waren in Bewegung geraten, und nicht wir waren die Regisseure, sondern andere…
***
In zwei Hälften geschlagen! Womöglich noch bei lebendigem Leib! Grauenhaft.
Claudine konnte es einfach nicht fassen. Am gesamten Leib zitternd stand sie vor ihrem toten, treuen Freund und
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