1185 - Im Schloss der Skelette
ich.
»Niemand«, flüsterte sie scharf. »Eigentlich niemand. Aber es gibt immer Ausnahmen. Und ich habe darüber nachgedacht. Diese Gestalt, die für mich irgendwie kein Mensch war und wie Metall klirrte, ob sie das Schwert besaß?«
»Bestimmt.«
Claudine Gatz überlegte. Mehrmals schüttelte sie den Kopf. »Ich kann es nicht fassen. Es ist einfach zu verrückt. Mir schwirren die irresten Gedanken durch den Kopf. Und wenn ich eine Lösung finde, kann ich daran nicht glauben.«
»Von welcher Lösung sprechen Sie?«
»Das ist schon lächerlich…«
»Glaube ich nicht.«
»Ich dachte an Geister, die Gestalt angenommen haben. Geister, die auch in diesem Schloss waren. Es ist völlig auf den Kopf gestellt. Sogar doppelt. Erstens gibt es keine Geister, und wenn, dann können Sie keine Gestalt annehmen.«
»Das würde ich nicht so sagen, Claudine.«
Mein Satz hatte sie ein wenig durcheinander gebracht. Sie knetete ihre Hände und zog sich von mir zurück, als hätte sie Angst vor mir. Auch mein Lächeln konnte sie nicht von ihrer Meinung abbringen.
»Wie haben Sie das denn gemeint, John? Das hörte sich an, als würden Sie an Geister glauben.«
»Möglich.«
»Also ja.«
Ich nickte.
Claudine brauchte eine Weile, um sich von der Überraschung zu erholen. Ich wollte sie nicht länger im Unklaren lassen und spielte deshalb mit offenen Karten. Ich erklärte ihr, wer ich war und weshalb ich überhaupt in diese Gegend gekommen war. Ich sprach auch über das seltsame Schloss und darüber, dass mit ihm einiges nicht in Ordnung war. Dass etwas aus der Vergangenheit zurückgeblieben war, das Jahre gewartet hatte, um endlich frei zu sein.
Claudine Gatz hatte sich nicht getraut, mich zu unterbrechen. Auch jetzt sagte sie kein Wort. Sie stand auf und öffnete die Klappe eines kleinen Schranks unter der Decke.
Dort stand eine Flasche Cognac. »Sie auch, John?«
»Nein, danke, ich habe vorhin schon einen Schnaps getrunken. Aber Ihnen wird es gut tun.«
»Ich hoffe.« Sie zog den Korken hervor und trank aus der Flasche, wobei ich ihr zuschaute. Nach den beiden Schlucken stellte sie die Flasche auf den Tisch, setzte sich aber nicht hin, sondern trat an das mir gegenüberliegende Fenster.
Sie zog die Gardine zur Seite, schaute nach draußen und musste sich dabei leicht bücken. Ich sah auf ihren Rücken und dachte daran, dass eine Frau wie Claudine umdenken musste. Das erlebte ich nicht zum ersten Mal. Es war mir schon oft widerfahren. Ich wusste, wie hart so etwas war, und ließ sie deshalb mit ihren Gedanken in Ruhe.
Sie zuckte zusammen. Es sah aus, als hätte sie ein Schlag aus dem Unsichtbaren getroffen.
»O Gott!«
»Was ist denn?«
»Kommen Sie, John, kommen Sie!« Ihre Stimme kippte fast über, und sie zitterte.
Ich drückte mich von der Bank hoch und war mit zwei Schritten bei ihr. »Da, sehen Sie!«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Noch immer war es recht hell. So konnte ich auch einen Teil der Lichtung überblicken und auch den Waldrand sehen.
Dort stand eine Gestalt vor den Bäumen. Es war kein Mensch, sondern ein Skelett!
***
Der Anblick brachte mich nicht aus der Ruhe. Lebendige Skelette waren nicht neu für mich. Mit ihnen hatte ich mich schon öfter herumschlagen müssen.
Claudine erging es anders. Ihr hatte der Anblick einen Schock versetzt. Es lag möglicherweise daran, dass die unheimliche Gestalt mit einem Schwert bewaffnet war, das sie in der rechten Klaue hielt. Die Klinge wies nach unten und verschwand mit ihrer Spitze zwischen den hohen Grashalmen.
Für Claudine war es gut, dass ich in der Nähe stand. So konnte sie sich Halt suchend an mich lehnen. Sie sagte nichts und atmete nur sehr heftig.
Das Skelett trug einen Schutzhelm auf dem Kopf, und ein paar Lumpen umgaben die Knochen. Ich dachte für einen Moment an die Horror-Reiter, aber mit diesen vier apokalyptischen Gestalten hatte dieser Knöcherne nichts zu tun.
Er wartete ab. Das von menschlicher Haut befreite Gesicht war uns zugewandt. Obwohl die Augenhöhlen leer waren, schien es den Wagen und uns zu beobachten.
Claudine hatte sich wieder so weit gefangen, dass sie einen Kommentar abgeben konnte. »John, das ist der Mörder. Das… das… ist der Mörder meines Hundes. Ich weiß es. Ich habe immer an das Schwert gedacht. Und da sehe ich es.«
»Das kann sein.«
»Aber wie ist das möglich?«, keuchte sie. »Wie ist es nur möglich, dass es so etwas in der Welt gibt? Die… die… Gestalt muss längst tot sein. Sie kann nicht
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