1187 - Wächterin am Höllentor
ist frei?«, fragte ich noch.
»Ja, das ist sie.«
»Und wir hätten die Chance, sie auf dem Gelände des Klosters zu finden?«
»Ich habe sie dort gesehen.«
»Aber wir kommen nicht in das alte Totenhaus hinein.«
»Es ist schon seit Jahren geschlossen. Es wollte auch niemand hinein. Man fürchtete sich davor. Wir alle waren froh, dass die Geschichte vorbei war.«
»Das kann ich mir denken.« Ich räusperte mich. »Können wir es riskieren und Sie allein lassen?«
»Natürlich. Ich werde in mein Zimmer gehen. Ich werde versuchen, zu beten und den Herrgott um Vergebung bitten. Ich werde Buße tun. Exerzitien durchführen, und ich werde die Leitung des Klosters abgeben, denn mit dieser Schande kann ich nicht weitermachen.« Sie senkte den Kopf und begann zu weinen.
Ich konnte ihr keinen Vorwurf machen. Ich konnte ihr auch keinen Rat geben. Sie musste stark genug sein, um aus eigener Kraft über das Schreckliche hinwegzukommen.
Mit einer müden Bewegung erhob sie sich. Wie eine Greisin durchquerte sie den hallenartigen Bereich. »So verschmutzt wie mein Körper ist auch meine Seele«, sagte sie uns flüsternd zum Abschied. Dann verschwand sie im Hintergrund, öffnete eine Tür, ging über die Schwelle und war nicht mehr zu sehen.
»Und was machen wir?«, fragte Jane mit nachdenklicher Stimme. »Klar, wir müssen Vestina finden. Aber wo kann das sein? Wo fangen wir damit an?«
»Sie ist nicht hier im Kloster.«
»Also draußen.«
»Wo sonst?«
Ich runzelte die Stirn. So klar war das nicht für mich. Das erklärte ich Jane auch. »Irgendwie kann mir das nicht gefallen. Josepha hat uns erzählt, dass sie das Kloster hier unter Kontrolle bekommen will. Um das zu erreichen, muss sie hierher kommen. Sie muss nahe der Menschen sein, die sie unter ihre Knute bekommen will. Das alles kann ich mir vorstellen. Es ist natürlich auch möglich, dass sie draußen sein wird. Deshalb denke ich, dass es am besten wäre…«
»Wenn wir uns trennen!«, stellte Jane fest und lächelte mich dabei an. »Du hast es erfasst!«
»Wer geht nach draußen? Wer bleibt?«
»Das hier ist ein Frauenkloster…«
»Habe schon verstanden, John. Ich bleibe hier und gebe Acht. Wenn sie erscheint, gebe ich dir Bescheid. Da schieß ich dann in die Luft oder so ähnlich.«
»Egal wie.«
»Deine Idee ist sogar gut. Ich kann mir zudem vorstellen, dass sie herkommen wird.« Sehr nachdenklich sprach Jane weiter und schaute dabei auf die noch immer offen stehende Eingangstür. »Sie hat die Oberin geschickt. Und sie muss davon ausgehen, dass sich Josepha noch immer unter ihrem Einfluss befindet, falls sie nicht gespürt hat, dass du dein Kreuz einsetzen konntest. Bleiben wir dabei, dass Josepha Vestinas Dienerin geworden ist. Dann rechnet sie damit, dass die Oberin ihr den Boden vorbereitet, auf dem sie ernten will. Und sie wird irgendwann kommen und nachschauen. Deshalb lohnt es sich für mich schon, wenn ich hier im Haus bleibe.«
»Dabei denkst du auch an die Gefahren?«
»Natürlich. Keine Sorge, ich bin bewaffnet. Und ich weiß auch nicht, ob sie diese Schwelle wirklich überwinden kann, weil es doch Kreuze gibt, Weihwasser und…«
»Alles klar. Wir hören voneinander.« Ich wollte nicht zu viel Zeit verstreichen lassen und verließ das Kloster…
***
Die abendliche Dunkelheit war da. Vor mir lag eine fremde Umgebung. Bei Tageslicht sah sie anders aus, aber jetzt brannte keine Lampe. Die Welt war von einem schwarzen Tuch verdeckt worden, und auch der Himmel brachte kein Licht, denn es zeigten sich weder Mond noch Sterne. Dafür mächtige Wolken, die der Wind von der See her herbeischaufelte. Ich sah den Wald als finstere Insel, in der ich keine Umrisse ausmachen konnte, als ich über den Klosterhof schritt.
Ich kannte die Richtung, die ich einschlagen musste, um das Leichenhaus zu erreichen.
Es war still um mich herum bis auf meine Schritte, als ich durch den Blätterteppich ging, sodass ich immer von einem Rascheln geleitet wurde.
Natürlich hielt ich die Augen offen. Wenn diese Vestina in beiden Zustandsformen auftreten konnte, war es durchaus möglich, dass ich sie plötzlich vor mir sah.
Leider tat sie mir den Gefallen nicht. So wartete ich weiterhin darauf, dass sie mir ein Zeichen gab.
Das Kreuz steckte griffbereit in meiner Tasche. Ich freute mich schon darauf, sie damit zu konfrontieren, aber auch das trat nicht ein. So erreichte ich schließlich das alte Leichenhaus und blieb vor der Tür stehen.
Wie nicht anders zu
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