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1188 - Wartesaal zum Jenseits

1188 - Wartesaal zum Jenseits

Titel: 1188 - Wartesaal zum Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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haben Sie vergessen, meine Liebe, wer Sie am Grab anrief?«
    Tessa sagte nichts. Sie fühlte sich nicht mehr gut. Etwas quirlte in ihrem Innern auf. Sie spürte den schlechten Geschmack im Mund, aber sie musste leider auch zugeben, dass sich der Geistliche nicht geirrt hatte.
    Die Mutter hatte sich über das Handy gemeldet. Es war ihre Stimme gewesen. Niemand hatte sie nachgeahmt. Da war nichts imitiert worden, einzig und allein ihre Stimme war von Tessa gehört worden. Die Stimme einer Toten.
    »Meine Mutter - sie… sie… war normal«, flüsterte sie. »Ich habe zwar von ihr getrennt gelebt und sie hin und wieder nur besucht. Ich war auch etwas verwundert über ihr Verhalten. Sie war ja sehr stark dem Glauben zugewandt. Einem sehr anderen, fast schon kindlichen und vor allen Dingen dem der Heiligenverehrung. Da braucht man sich ja nur die Altäre anzusehen, die sie aufgebaut hat. Aber…«, sie holte tief Luft. »Tot ist tot. Sie liegt in der Erde. Sie wurde begraben. Sie selbst haben die Beerdigung…«
    »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Tessa. Sie haben auch Recht. Aber nur bedingt. Für die Menschen ist sie tot. Für uns zwar auch, aber unsere Tochter ist trotzdem noch da. Und Marga hat sich gemeldet. Für sie hat sich alles gelohnt.«
    »Was meinen Sie denn damit?«
    »Die Gebete«, flüsterte der Geistliche. »Das Flehen um die andere Erlösung. Einen Weg zu gehen, der letztendlich in das reine Glück hineinführt. Das alles hat Ihre Mutter geschafft. Dafür kann man sie nur bewundern. Der Körper ist von uns gegangen, der Geist jedoch ist geblieben.«
    Tessa Tomlin schüttelte den Kopf. »Das ist mir zu hoch«, gab sie zu. »Ich kann es nicht fassen. Noch immer nicht. Ich weiß nur, dass meine tote Mutter mit mir gesprochen hat.«
    »Sie gibt es noch.«
    »Wo denn?«
    »In der anderen Sphäre. Sie ist da. Sie ist auch bei uns. Sogar zwischen uns. Ich sitze hier nur, weil ich nicht auf Sie, sondern auf Ihre Mutter warte. Denken Sie darüber nach. Ich warte auf Ihre Mutter. Ich warte darauf, dass sie sich meldet, und ich weiß genau, dass sie es wieder tun wird.«
    »Jetzt?«
    »Nicht sofort, aber bald. Ich war ihre Person des Vertrauens. Wir haben tagelang und auch in den Nächten über gewisse Dinge gesprochen und uns vorgestellt, was passieren würde, wenn wir mal nicht mehr sind.«
    »Ha, das weiß doch keiner.«
    »Es gibt immer Ausnahmen.«
    »Damit meinen Sie meine Mutter?«
    »Ja, wen sonst.«
    Tessa begriff es nicht. Sie wollte auch nicht lachen. Zudem fühlte sie sich noch immer wie umnebelt. In blassen Wolken trieb der Weihrauch durch den Raum und störte auch noch jetzt ihre Atemwege.
    Es war nicht zu fassen, was man ihr da gesagt hatte, und sie hätte am liebsten laut aufgelacht, aber das ließ sie bleiben. Tessa hatte trotz allem begriffen, dass dieses hier kein Spiel war und keine Spinnerei, denn letztendlich war sie es gewesen, die die Stimme ihrer Mutter gehört hatte.
    Eigentlich könnte ich jetzt aufstehen und hier verschwinden, dachte sie. Für Tessa war auch der Friedhof wichtig. Dort wollte sie Glenda Perkins treffen.
    Es war zwar nicht ihr Wunschtraum, bei der Exhumierung der eigenen Mutter dabei zu sein, aber sie wollte auch Gewissheit erhalten und musste es deshalb über sich ergehen lassen.
    Trotzdem kam sie nicht weg.
    Etwas bannte sie.
    Es war der ungewöhnliche Geistliche, der so anders war als die normalen, die sie kannte. Und es war letztendlich auch der Geruch des Weihrauchs, der sie irgendwie bleiern machte, sodass sie kaum ihre Füße heben konnte.
    Ben Clemens schien zu wissen, in welchem Zustand sie sich befand. Er beobachtete Tessa aus verhangenen Blicken, und die blassen Lippen hatten sich wieder zu einem Lächeln verzogen, das wissend und zugleich auch kalt wirkte.
    »Sie werden den Kontakt zu Ihrer Mutter nicht verlieren, Tessa«, sagte er leise und mit leicht salbungsvoll klingender Stimme. »Ich weiß das genau.«
    »Wieso können Sie das wissen?«
    »Sie sind ihr Fleisch und Blut.«
    »Ach, vergessen Sie das doch!«, sagte Tessa hart. Allmählich wurde sie wütend.
    »Nein, das kann ich nicht vergessen. Auch Sie können es nicht, Tessa. Die Mutter hat Ihnen bewiesen, dass sie noch vorhanden ist, obwohl sie unten im Grab liegt. Ja, das hat sie. Tessa, Sie sind ihre Erbin, und es wäre besser für Sie, wenn Sie sich nicht dagegen sträuben würden. Nehmen Sie dieses Erbe an.«
    »Und dann?«, flüsterte die junge Frau. »Was passiert dann?«
    »Sie werden es erleben.

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