1188 - Wartesaal zum Jenseits
ihren Rücken rann. Zudem baute sich in ihr das Verlangen auf, die Figur anfassen zu dürfen, und sie wunderte sich über sich selbst, als sie zitternd ihre rechte Hand ausstreckte.
»Darf ich sie haben?«
»Deshalb bin ich gekommen.«
Der Geistliche senkte die Hand. Er seufzte dabei und legte die Holzfigur behutsam ab.
Auch Tessa umschlang sie nicht mit der Hand. Auf der Fläche blieb die Figur liegen.
Es war eine aus Holz geschnitzte Frau, die den Kopf leicht schief gelegt hatte und deshalb auch diesen Blick besaß, der etwas in sich Gekehrtes aufwies. Vielleicht war das der typische Blick der Heiligen; Tessa wusste es nicht genau.
Das Gesicht zeigte weiche Züge. Es besaß eine leicht rosige Farbe. Sie hatte schon gedacht, dass es eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Mutter aufweisen würde, doch da hatte sich Tessa geirrt.
Es gab keine Ähnlichkeit - oder?
Die Stimme des Pfarrers störte sie bei ihren Gedanken. »Schauen Sie sich die Figur in aller Ruhe an, Tessa. Wir haben alle Zeit der Welt - alle…«
Tessa hörte nicht mehr zu, denn sie war von dem Anblick der kleinen Figur fasziniert. Dieser in zwei Gewändern eingehüllte Körper, das wunderschöne Gesicht mit den Augen…
Augen?
Tessa zuckte zusammen und glaubte zugleich, sich geirrt zu haben. Aber das war nicht der Fall, denn beim zweiten Hinschauen erlebte sie das gleiche Phänomen.
Die Figur selbst war starr.
Die Augen waren es nicht, denn sie lebten.
Das war es nicht, was Tessa Tomlin so erregte, denn sie kannte die Augen. Jahrelang hatte sie sie sehen können. Als Kind und auch als Erwachsene.
Es waren die Augen ihrer verstorbenen Mutter!
***
Leicht war es für uns nicht gewesen, die Erlaubnis zum Öffnen des Grabs zu bekommen, aber da gab es unseren Chef, Sir James Powell, der an den richtigen Drähten zog, und so waren wir schließlich in der Lage, das Grab öffnen zu können.
Die entsprechenden Vorbereitungen waren telefonisch getroffen worden, und so würde es für uns Drei keine größeren Probleme geben. Ich war nicht allein gefahren. Suko und Glenda Perkins saßen ebenfalls im Rover. Besonders Glenda Perkins hatte es sich nicht nehmen lassen, uns zu begleiten.
Außerdem wurde sie von ihrer Fitness-Freundin erwartet, wie sie sagte.
Mit dem Totengräber hatten wir bereits telefonisch Kontakt aufgenommen und ihn auf seine Aufgabe vorbereitet. Der Mann hieß Boris Long. Er hatte versprochen, bereits anzufangen, sodass wir bei unserem Eintreffen nicht zu lange warten mussten, bis der Sarg dann frei vor uns lag.
Es war eine Gegend, in die es uns noch nie getrieben hatte. Sehr ländlich. Etwas wellig. Es gab viele Weiden, auch kleine Gehölze und schmale Wirtschaftswege, die zu den Gehöften führten, aber es gab nicht die Leere und Weite, wie wir sie aus anderen Teilen des Landes kannten. Kein Vergleich zu Cornwall, Wales oder dem Norden des United Kingdom.
Bis Brentwood mussten wir nicht fahren. Vor der M25 bogen wir nach Norden hin ab. Über eine recht schlechte Nebenstraße, die nicht mal einen Mittelstreifen aufwies, dafür jede Menge Laub, erreichten wir den kleinen Ort Weald.
Glenda saß auf dem Rücksitz. Sie benahm sich ziemlich zappelig, weil sie immer wieder aus dem Fenster schauen musste, damit ihr nur nichts entging.
Den Ort konnte man vergessen. Er war noch aus der Vergangenheit übrig geblieben. Man hatte keine neuen Häuser gebaut, aber es gab hier den Friedhof, und wir sahen auch den Kirchturm, der so etwas wie ein Wahrzeichen war.
Zwar wusste keiner von uns, wo wir den Friedhof finden würden, zumeist jedoch lag er nahe der Kirche oder direkt dabei. Das war auch unser Ziel, und Glenda entdeckte das alte verwitterte Schild, das auf den Friedhof hinwies, auf einer Mauer.
Der Weg dorthin erstreckte sich durch ein Gehölz. Danach wurde unser Blick wieder frei. Wir sahen jetzt die Kirche aus braunroten Backsteinen, aber davor war ein Platz, von einer Steinmauer umgeben, unser Ziel.
Sogar eine kleine Leichenhalle hatte man gebaut. Allerdings recht spät. Sie war aus Beton-Fertigteilen errichtet worden und passte zu den anderen Bauten wie die berühmte Faust aufs Auge.
Die Fenster lagen im oberen Bereich und waren nur breite Streifen. Um durchzuschauen, hätten wir die doppelte Größe haben müssen.
Neben einem Wagen mit offener Ladefläche hielten wir an. Zweige und Laub bedeckten den hinteren Teil des Fahrzeugs. Jemand musste die Reste vom Friedhof gekehrt haben.
Als wir ausstiegen, fiel uns die klarere Luft
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