1190 - Geisterrache
sehe. Sag mir, dass ich spinne.«
»Was ist da denn?« Er hatte nur gefragt und sich dabei auf keinen Fall umgedreht.
»Ich kann es dir nicht sagen. Es ist unheimlich, das weiß ich. Einfach nicht zu fassen…«
»Bitte, Doris!«
»Wir sind nicht mehr allein.« Sie schaute starr an ihm vorbei und begann plötzlich hysterisch zu lachen. Allerdings nur kurz, weil sie ihm etwas sagen musste.
»Das Messer da…«
Die Worte reichten. Dunn schloss die Augen. Er wollte es nicht sehen. Er drehte sich auch nicht um und sagte nur: »Geh! Geh schnell! Geh sofort! Jetzt ist noch Zeit…«
Sie hatte ihn gehört, aber sie reagierte nicht auf seine Warnungen. »Das gibt es doch nicht. Das geht nicht. So was ist einfach nicht möglich. Das musst du sehen…«
»Ich will nicht!«
Doris ließ ihm keine Chance. Sie fasste ihn an beiden Schultern und drehte ihn um. Er taumelte bei der Bewegung und schaffte es nicht, sich wieder zu fangen. So wurde er gezwungen, sich anzusehen, was Doris meinte.
Auf dem Tisch lagen die verschiedenen Messer, mit denen er die unterschiedlich dicken Leinwände zurechtschnitt.
Ein Messer lag nicht mehr auf dem Tisch. Es war in die Höhe geschwebt, als wäre es von unsichtbaren Fädengezogen worden. Es gab keine Hand, die es festhielt, und die Spitze der breiten Klinge wies auf Doris und Ethan.
»Kannst du das erklären?«, fragte die Frau mit bebender Stimme. »Ich täusche mich doch nicht oder?«
»Nein!«
»Hast du damit zu tun?«
Er gab keine Antwort, weil er zugleich von einer anderen Person angesprochen wurde. Sie stand beinahe noch näher bei ihm als Doris. Er merkte den Hauch an seinem rechten Ohr, aus dem sich die Worte entwickelten.
»Tu es, Ethan. Tu es! Tu es, weil ich es will! Du hast mich geholt. Du hast mich mit erschaffen. Ich bin durch deine Fantasie mitgeboren worden. Ich bin jetzt bei dir. Du wirst mich nicht mehr los. Du musst das tun, was ich will!«
»Sicher«, gab er leise zurück.
Doris dachte, sie wäre gemeint gewesen. Ihr Blick irrte vom schwebenden Messer weg hin zu Ethan. »Was hast du gesagt?«
»Nichts.«
»Doch. Du hast eine Antwort gegeben. Aber nicht…«
»Greif zu!«
Der Befehl war da. Ethan kümmerte sich nicht mehr um sein Modell. Um freie Bahn zu haben, stieß er Doris zur Seite, die zurücktaumelte und aufschrie.
Dann zielte Dunn mit seiner rechten Hand nach dem Messer. Er brauchte nicht mal weit zu fassen.
Es befand sich in seiner Nähe, und zielsicher umschloss er den Griff.
Doris hatte sich gedreht. Sie glaubte, in eine andere Welt versetzt worden zu sein. Ihr Gesicht hatte den normalen Ausdruck verloren. Sie konnte nur entsetzt auf den Maler schauen, der das Messer mit der kantigen, aber beidseitig geschliffenen Klinge festhielt und sie mit starrem Blick betrachtete.
»Das ist Wahnsinn, Ethan. Du bist verrückt. Leg das verdammte Ding da weg!«
»Nein!«
Diese eine Antwort reichte Doris aus. In diesem Wort hatte alles gelegen, was den Maler an Gefühlen in diesem Augenblick durchschoss. Er würde sich nicht von ihr beirren lassen. Er würde das Messer nehmen und damit…
Ihre Gedanken wurden abgelenkt, denn sie hatte etwas anderes wahrgenommen. Es erwischte sie wie ein zweiter Schock, denn schräg hinter dem Mann zeichnete sich etwas ab. Zuerst hatte sie es für eine Luftspiegelung gehalten, aber das traf nicht zu. Es war kein Reflex, sondern eine Person.
Sie sah aus, als hätte Ethan Dunn sie gezeichnet. Umrisse eines Frauenkörpers, der kein Mensch sein konnte, sondern ein Geist. Ja, etwas, an das sie nie geglaubt, von dem sie nur gehört hatte. Eine Erscheinung aus dem…
Nein, das konnte nicht sein!
Aber sie war da. Sie blieb auch, und sie verdichtete sich. Es passierte alles sehr schnell. Die Luft um sie herum zog sich zusammen, zumindest sah es für die Frau so aus. Und diese Verdichtung zeigte ihre Folgen, denn der Geist erhielt plötzlich einen Körper oder etwas Ähnliches.
Eine blasse Gestalt, die ein langes Kleid trug, das den Körper wie eine Fahne umwehte. Ein blasses Gesicht, ebenfalls blasse oder bleiche Haare, die in die Höhe standen, als hätte der Wind sie aufgewühlt. Doris konnte es nicht fassen. In ihrem Kopf pulsierte das Blut. Es hämmerte gegen die Stirn, und hinter den Augen spürte sie plötzlich Schmerzen.
Und die Erscheinung blieb nicht stumm. Sie konnte plötzlich reden und wandte sich an Ethan Dunn.
»Tu es! Tu alles, was dir in den Sinn kommt. Los, sei wie die anderen damals!«
Wenn man von einem
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