1192 - Schamanenkult
schaute über den Schädel hinweg auf ihn.
Alles wurde anders. Der Reporter wusste nicht, ob das, was er sah, auch den Tatsachen entsprach.
Etwas anderes hatte seine Psyche übernommen. Er konnte etwas sehen, was eigentlich nicht da war.
Gestalten wie Schatten. Wie riesige Schlangen, Würmer oder dunkle Nebelstreifen bewegten sich vor seinen Augen, und der verdammte Schädel in seiner Hand blieb dort liegen wie festgemeißelt.
Bill sah das Grauen.
Er hörte Schreien.
Er duckte sich, als etwas auf ihn zuflog. Es zerplatzte dicht vor seinem Gesicht und bespritzte ihn mit Blut. Erst jetzt sah er, dass es ein menschlicher Kopf war, der von einem Axthieb in zwei Stücke gehauen worden war.
Wie auf einer Bühne im Hintergrund malte sich die Gestalt des Avery Taylor ab. Er stand dort wie der große Regisseur und Erklärer. Seine Stimme übertönte alles. Sie hallte in Bills Ohren nach, der die Worte wie Hammerschläge empfand.
»Er ist wieder da. Sein Geist, der Geist des alten Druiden hat den Menschen die dunkle Seite ihrer Seele gezeigt. Jeder Mensch hat sie, auch du. Er ist in dich hineingekrochen. Er zeigt dir die Fantasien, die normalerweise im Verborgenen blühen. Er ist ein wahrer Meister seines Fachs. Ein Schamane und Zauberer, wie es ihn lange nicht gegeben hat. Jetzt ist er wieder da. Jahrhunderte mussten vergehen, doch er hat nichts von seiner Macht eingebüßt.«
Bill konnte nicht antworten. Er merkte nicht mal, dass er schwankte. Für ihn drehte sich das Zimmer, und die tote Materie wurde mit Leben gefüllt.
Die alten Schrumpfköpfe auf den Lanzen grinsten und zwinkerten ihm zu. Oder war es nur Einbildung? Lebten die ausgestopften Tiere wirklich? Rissen sie ihre Mäuler auf, oder bildete er sich das alles nur ein?
Bill konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er war in einer anderen Welt gefangen, die nichts mehr mit seinem Leben zu tun hatte. Und er war auch nicht mehr in der Lage, sich zu wehren. Zu stark war die Gegenseite.
Dann hörte er wieder Taylors Stimme. Sie klang jetzt noch lauter als zuvor.
»Er will dich, Conolly. Er will mit dir das Gleiche machen, was mit ihm geschehen ist, verstehst du? Er hat seinen Körper verloren, und nur sein Kopf ist übrig geblieben. Nur sein Kopf, begreifst du das? Auch dein Kopf soll übrig bleiben. Ich will ihn haben. Ich werde ihn bekommen. Ich werde ihn präparieren, und ich werde ihn als meine Trophäe hier in das Zimmer stellen. Aber nicht nur deinen, auch der Kopf deiner Frau wird dieses Zimmer schmücken, und so habe ich meine Nachbarn immer vor Augen. Ich werde danach der Meister sein, der neue Schamane, der neue Druide, und ich werde Wege finden, um in das geheimnisvolle Reich Aibon zu gelangen. Der Weg ins Paradies der Druiden, er steht dann für mich offen…«
Bill wunderte sich selbst darüber, dass er alles so klar und deutlich verstanden hatte. Da war nichts Trennendes mehr zwischen ihm und Taylor.
Der Nachbar trat zurück.
Keine Stimme mehr, nur das Fremde in Bills Kopf. Diese Gedanken, die ihn quälten. Der Geist des Druiden, der die lange Zeit überlebt hatte.
Bill war benommen. Er starrte auf den Totenkopf. Er sah die Augenhöhlen. Waren sie tatsächlich leer oder bewegte sich darin diese geleeartige Masse?
Bill fand es nicht heraus, aber er hörte hinter sich einen wilden Fluch. Livia hatte ihn ausgestoßen.
Bill hörte, wie sie aus dem Zimmer eilte, doch das war für ihn von geringer Bedeutung.
Etwas anderes war viel schlimmer.
Avery Taylor hatte sich in seinem Wahn umgedreht und nach einer Waffe gegriffen. Er holte sie von der Wand und hielt sie mit beiden Händen fest.
Bill sah den Mann und die Waffe nur verschwommen, aber er hatte den Eindruck, dass sie eine Machete war, mit der man sich im dichten Dschungel freie Bahn verschaffte.
Taylor lachte.
Die Augen funkelten.
Bill, der sich beinahe an dem alten Schädel festklammerte, konnte seinen Blick nicht von der Gestalt wenden, die jetzt die Machete schräg vor ihr Gesicht hielt und mit der Zunge über den blanken Stahl leckte.
Taylor war zufrieden. Er nickte zufrieden und flüsterte dann: »Sie wird dir mit einem Schlag den Kopf vom Körper trennen…«
***
Als ich näher darüber nachdachte, sah ich es als positiv an, dass uns Sheila begleitete. Sie warum Unverdächtigsten. Sie brauchte nur nach dem Verbleib ihres Mannes zu fragen, das hätte jede Frau getan: Auf dem kurzen Stück hatten wir mit Sheila darüber gesprochen, und sie war auch einverstanden.
Suko, der
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