1194 - Lady Sarahs Horror-Trip
bestand aus zwei Glashälften, die sich in der Mitte trafen. Wir hatten die letzte Stufe kaum verlassen, als sich die beiden Hälften nach links und rechts zur Seite schoben und ein Schwall warmer Luft gegen unsere Gesichter schwappte. Sarah hielt sich dicht an meiner Seite und hatte sich mit der linken Hand bei mir eingehakt. In der rechten hielt sie den Stock. Bei jedem Schritt drückte sie die Gummispitze gegen einen Boden, der aussah, als bestünde er aus Fliesen, tatsächlich aber ein Imitat aus Kunststoff war. Man hatte hier alles sehr preiswert gehalten.
Der ziemlich geräumige Eingangsbereich entsprach farblich nicht eben meinem Geschmack. Brauntöne herrschten vor und wurden von einem schmutzigen Gelb aufgemischt.
An der linken Wandseite standen Stühle, Tische und Bänke. Die Sitzflächen bestand aus rotem Kunststoff. Zwei Frauen und ein Mann hockten dort wie lebende Statuen. Sie schauten nicht uns an, sondern durch die Scheiben in den Regen, als wollten sie ihm irgendwann befehlen, endlich aufzuhören.
Sarah und ich wandten uns nach rechts, denn dort befand sich die Anmeldung. Hinter einer großen Scheibe, die durch mehrere Holzrahmen in verschiedene Fensterchen aufgeteilt worden war, saß eine braunhaarige Frau um die Vierzig und telefonierte. Ich konnte sie von der Seite aus sehen, und mir fiel sofort ihr Damenbart über der Oberlippe auf.
Was sie sagte, hörten wir nur schwach, und es dauerte nicht lange, bis sie den Hörer auflegte. Sie drehte sich um, öffnete eine Klappe in der Scheibe und schaute uns fragend, aber nicht besonders freundlich an.
Ich allerdings lächelte und stellte uns vor. Auf einem Schild las ich, dass die Frau Harriet hieß. Sie trug eine blaue Schwesternkluft, aber keine Haube.
Ihr Gesicht hätte auch einem Mann gehören können. Sie senkte den Kopf, zog die große Nase hoch und fuhr mit dem Finger über die Seite eines Buches.
»Ja, stimmt. Sarah Goldwyn und John Sinclair.«
»Genau.«
Sie hob den Kopf wieder an. »Sie suchen für die Lady ein Zimmer, nehme ich an.«
»Wir wollten uns umschauen.«
Die Schwester konnte nicht sehen, dass Sarah mich trat. Was Heime anging, war sie eben sensibel.
Harriet nickte uns zu. »Gut, das können Sie. Die meisten unserer Gäste schauen sich vorher um, bevor sie sich entscheiden.«
»Positiv oder negativ?«
»Fast immer positiv. Es spricht für unser Heim. Außerdem haben die Menschen hier ihre Ruhe. Sollten Sie es nicht wissen, wir arbeiten eng mit den Regierungsstellen zusammen. Viele Bedienstete aus diesem Bereich verbringen bei uns ihren Lebensabend. Besonders die Herren, die auch viel erzählen können.« Harriet schaute Lady Sarah dabei an, als wollte sie ihr den Aufenthalt auf diese Weise schmackhaft machen.
Die Horror-Oma sagte nichts. Ihr Blick war nicht eben freundlich.
»Werden Sie uns durch das Haus führen?«, erkundigte ich mich.
»Nein, wo denken Sie hin, Mister. Mein Platz ist hier. Ich bin unabkömmlich. Aber ich werde einer Kollegin Bescheid geben. Schwester Margret wird Ihnen das Haus zeigen. Ich muss ihr nur noch Bescheid sagen. Die wenigen Minuten werden Sie bestimmt gern warten. Sie können dort hinten an der Wand Platz nehmen.«
»Danke«, sagte ich.
»Ich will nicht sitzen!«, flüsterte Lady Sarah mir zu. »Eine wie ich kann sehr gut auf eigenen Füßen stehen.«
Harriet telefonierte. Was sie sagte, bekamen wir nicht mit. Sie sprach zu leise.
Das Heim machte seinem Namen alle Ehre. Es war wirklich still. Keine Stimmen, keine Musik. Wir sahen auch keine Menschen. Sie blieben in den Zimmern. Niemand hatte Interesse daran, sich hier unten in das kalte Foyer zu setzen. Die Menschen, die dort auf den Stühlen saßen, schwiegen sich an.
Sarah Goldwyn schwieg nicht mehr. Zuerst hörte ich sie seufzen, dann sagte sie: »Weißt du, John, wie ich mich fühle?«
»Klar. Wie lebendig begraben.«
»Genau das.«
»Was willst du machen? Das ist nun mal so in Heimen.«
»Nicht in allen. Ich habe von Heimen gelesen, in denen es anders aussieht.«
»Du brauchst ja nicht hin.«
»Da bin ich meinem Schöpfer auch dankbar.«
Harriet sprach nicht mehr. Sie kümmerte sich nicht um uns und wandte sich wieder ihren Unterlagen zu.
Manchmal kratzte sie mit einem Kugelschreiber durch ihr Haar.
Es gab einen Lift. Okay, den musste es geben, und ich wartete darauf, dass sich die Tür öffnete und Schwester Margret ausstieg. Aber sie kam nicht von dort. Stattdessen hörten wir Schritte aus einem langen Flur schallen,
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