1198 - Varunas Hexenreich
schwer für mich, diese beiden Magien miteinander in Verbindung zu bringen, denn sie waren einfach zu unterschiedlich. Deshalb bezog sich meine nächste Frage darauf.
»Du hast dich auf die Runen verlassen, wie ich sehen konnte: Jetzt sagst du, dass der ägyptische Zauber zu stark gewesen ist? Was hat das mit den Runen zu tun?«
»Ich wollte den Weg frei machen«, flüsterte sie. »Ich wollte den Eintritt in die Vergangenheit. Ich musste mich von allem Ballast befreien. Mein Blick sollte sich öffnen. Ich wollte Tore einreißen, um in die andere Welt zu gelangen.«
»Nur in sie oder…«
»Zu einer Frau. Zu einer Pharaonin. Zu Hadschepsut. Sie habe ich verehrt. Ich habe mich auf die Suche nach ihrem Geist gemacht. Ich habe versucht, die Grenzen der normalen Welt zu überwinden. Ich wollte die Vergangenheit erleben und durch die uralte Kraft eine Reise antreten.«
»Hast du es geschafft?«
Für einen kurzen Augenblick erhielten ihre Augen einen sehr starken Glanz. Ich kannte den Blick.
Die vorherige Varuna hatte mich so angeschaut. »Ja, ich bin drüben gewesen. Ich habe die Grenzen überwinden können, und ich habe sie erlebt.«
»Hast du mit ihr sprechen können?«
»Ich war im Reich der Toten«, flüsterte sie. »Ich war in der Welt der Geister. Ich habe sie gesucht, und ich habe sie gefunden. Ich konnte sie spüren, aber sie hat mich nicht verstanden. Sie… sie… stand nicht auf meiner Seite.«
»Was tat sie?«
»Sie nahm mir die Kraft. Sie zerrte an meiner Seele. Sie wollte mein Inneres rauben.«
»Warum?«
»Um zu erstarken und etwas von dem abzugeben…«
»An wen?«
Ein trocken klingendes Geräusch drang aus ihrem Mund. Wahrscheinlich war es ein Lachen. »Der Austausch der Seelen. Der Austausch von Leben. Leben für den Tod…«
»Für welchen Tod?«
Varuna starrte in mein Gesicht. »Kannst du es dir nicht denken? Ich bin immer schnell verschwunden, wenn ich nicht wollte, dass ihr mich findet. Der Weg war offen für mich und auch für eine andere Person, die nicht mehr am Leben war.«
»Kelly O'Brian?« flüsterte ich.
»Ja!«
Ich sagte nichts, denn die Aussage hatte mich ziemlich überrascht. Damit musste ich erst mal fertig werden. Sehr langsam drehte ich Suko meinen Kopf zu. Auch er hatte sich mittlerweile hingehockt, um die leise gesprochenen Worte verstehen zu können.
»Begreifst du es?« flüsterte ich.
»Noch nicht ganz. Ich ahne nur etwas. Hier scheint ein Austausch der Seelen vorgenommen zu werden, der noch nicht ganz beendet ist. Und Varuna spielt nicht mehr die Hauptrolle. Sie scheint Kelly besser gekannt zu haben, als wir uns vorstellen können. Frag sie mal weiter, dann wirst du vielleicht alles erfahren.«
Varuna wirkte wieder erschöpft. Sie hielt den Kopf leicht gesenkt. Das Kinn berührte fast ihre Brust, und manchmal rann ein Zittern über das alte Gesicht.
Ich stieß sie leicht an, und sie schaute wieder hoch. »Ist Kelly O'Brian noch immer tot?«
Sie gab zunächst keine Antwort und kam mir vor wie jemand, der erst nachdenken muss. Dabei schaute sie auf ihre Hände mit der rissigen Haut, die von zusätzlichen Altersflecken gezeichnet war.
»Kelly soll wieder leben. Kelly wird leben. Sie wird zurückkehren, John. Sie wird durch mich zurückkehren, denn es wird zu einem Austausch der Seelen kommen.«
Ich begriff. »Dann wird es möglicherweise eine andere Tote an Kellys Stelle geben.«
»So ist es vorgesehen.«
»Und du wirst diejenige sein, die sterben wird - oder?«
»Ja!«
***
Das Geständnis verblüffte uns nicht mal so stark. Ich hatte nicht das Gefühl, geschockt zu sein, ich dachte nur darüber nach, welchen verzweigten Weg wir gegangen waren, um dieses Geständnis hören zu können.
Wir hatten Varuna als einen so sicheren Menschen erlebt. Sie hatte in ihrer eigenen Welt gelebt und war den Weg konsequent gegangen. Dennoch war sie ein Rätsel geblieben, wobei sie sich wohl zu viel vorgenommen hatte. Nicht jedem war es gestattet, einen Weg zu öffnen, der in die Vergangenheit führte und damit hin zu den Totenritualen der alten Ägypter. Varuna hatte es getan und musste ihren Preis dafür bezahlen.
»Warum soll Kelly wieder leben?«, erkundigte ich mich mit leiser Stimme.
»Weil die Pharaonin es so will. Sie war für mich die Große Mutter. Ich habe viel über sie gelesen. Ich war vor einigen Jahren sogar in ihrem Tempel. Und genau dort habe ich gespürt, dass noch etwas von ihr existiert. Nicht vom Körper, der ist vergangen. Aber der Geist
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