12 Stunden Angst
er sich ausgezogen hatte, hatte er sich Laurel zugewandt und sich in seiner ganzen Nacktheit gezeigt, bevor er zum Pool gerannt und ins dampfende Wasser gesprungen war. Laurel hatte eine genaue Erinnerung an den Moment, doch ganz gleich, wie sehr sie sich konzentrierte, sie sah nichts außer einem gewöhnlichen Penis eines Mannes im mittleren Alter und von durchschnittlicher Größe.
»Die Zeit ist um«, sagte Warren. »Du hast verloren.«
»Es ist nichts Außergewöhnliches an ihm.«
Warrens Grinsen war triumphierend. »Kyle hatte eine Hypospadie. Weißt du, was das ist?«
Laurel hatte das Wort schon mal gehört, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, was es beschrieb.
»Seine Harnröhre öffnet sich zur Unterseite der Eichel anstatt zur Spitze hin. Es ist ziemlich verbreitet. Jeder dreihundertste hat so was. Und wenn du mit ihm geschlafen hättest, hättest du definitiv davon gewusst.«
Laurel sah zur Seite.
»Du kannst seine Leiche untersuchen, falls es dich interessiert. Nein? Dann wiederhole ich meine Frage. Sag mir, wen du zu schützen versuchst. Wenn nicht …«
Das Telefon in der Küche schrillte. Warren ließ Laurel los, warf einen Blick auf die Nummer des Anrufers und ging zum Küchenfenster. »Los geht’s«, sagte er. »Sie sind da.«
Laurel stellte sich auf die Zehenspitzen. Hinter der Hecke, draußen vor den Fenstern, entdeckte sie einen Streifenwagen des Sheriff’s Department. Er parkte am Ende der Auffahrt. Ein Mann saß hinter dem Steuer.
Warren drückte den Freisprechknopf des Telefons; dann kehrte er ans Fenster zurück. »Hier Dr. Shields. Wer ist da?«
»Hier spricht Deputy Ray Breen.«
»Guten Tag, Ray«, sagte Warren. »Was kann ich für Sie tun?«
»Nun ja, Doc – ich bin zu Ihnen rausgekommen, weil ich ein paar Dinge überprüfen möchte.«
»Tatsächlich? Und was für Dinge wären das?«
»Einmal Ihre Frau und Ihre Tochter. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie hier draußen ein paar Probleme haben.«
»Es gibt keine Probleme«, sagte Warren. »Jedenfalls nichts Ernstes.«
Eine lange Pause entstand. »Ihr Junge hat aber etwas anderes erzählt«, sagte Deputy Breen schließlich. »Er ist drüben im Haus Ihrer Nachbarn, halb verrückt vor Angst. Er hat gesagt, Sie hätten möglicherweise jemanden erschossen.«
Warren lachte laut auf. »Nein, nein. Kyle Auster und ich habeneine Pistole gereinigt, und dabei hat sich ein Schuss gelöst. Jetzt haben wir ein Loch im Boden, aber darüber hinaus ist kein Schaden entstanden.«
Diesmal war die Pause noch länger. »Das freut mich zu hören, Doc. Trotzdem, ich würde mich viel besser fühlen, wenn ich allen kurz Hallo sagen könnte. Einem nach dem anderen, wenn’s geht.«
Warrens angespanntes Gesicht strafte seinen Plauderton Lügen. Vielleicht war der Deputy doch nicht so dumm, wie er gedacht hatte. Warren nahm das Telefon von der Ladeschale, schaltete den Lautsprecher aus, drückte die Hand auf das Mikrofon und schaute Laurel an. »Sag ihm, dass alles in Ordnung ist. Dir geht es gut. Los, sag es!«
»Nein.«
»Wenn du dich weigerst – wenn du ihn warnst oder ihm erzählst, was hier drin los ist oder dass ich Auster erschossen habe –, kannst du deinen Hintern darauf wetten, dass sie das Haus stürmen und aus allen Rohren feuern. Ich übernehme keine Verantwortung für das, was dann geschieht.«
Laurel fragte sich, ob er die Wahrheit sagte. Bis jetzt hatte sie nur einen Streifenwagen draußen entdeckt. Doch es musste mehr geben. Und die einheimischen Cops, die sie kennen gelernt hatte, schienen tatsächlich zu der Sorte zu gehören, die lieber zu den Waffen griff, als zu versuchen, eine schwierige Situation durch Verhandlungen zu lösen. Sie nickte, und Warren hielt ihr das Telefon vors Gesicht. »Deputy Breen?«
»Am Apparat, Ma’am. Kann Ihr Mann Sie hören?«
Genau in diesem Augenblick drückte Warren das Ohr an den Hörer.
»Nein«, log Laurel.
»Geht es Ihnen gut?«
»Ja.«
»Sind Sie in Gefahr?«
»Gefahr?«
»Uns wurde gesagt, bei Ihnen im Haus wäre geschossen worden.«
»Bloß ein Missgeschick. Es ist nichts passiert.«
»Und Ihre Tochter? Geht es ihr gut?«
»Ja.«
»Könnte ich mit ihr sprechen?«
»Selbstverständlich.«
Warren kniete sich vor Beth hin. »Sag Hallo zu dem Mann«, sagte er zu seiner Tochter. »Er ist sehr nett.«
»Hal-lo«, sagte Beth und verfiel in ihr übliches Telefonritual. »Wer sind Sie?«
»Sie ist beim Spielen«, sagte Warren, wobei er sich mit dem Telefon
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