12 Stunden Angst
Ottomane, die er auch zuvor schon benutzt hatte. Er sah aus, als wäre er seit dem Morgen um fünfzehn Jahre gealtert.
»Ich möchte dich etwas fragen«, begann Laurel leise. »Wir sind seit zwölf Jahren verheiratet, und in all der Zeit hast du nie die Hand gegen mich erhoben. Jetzt aber, in einer Zeitspanne von wenigen Stunden, bist du ein ganz anderer Mensch geworden. Kannst du mir das erklären?«
»Du hast mich vorher nie betrogen.«
»Ich glaube nicht, dass es darum geht. Hätte ich dir vor einerWoche gesagt, dass du mich fesseln und schlagen würdest, noch dazu vor den Augen unserer sechsjährigen Tochter, hättest du das nicht für möglich gehalten. Nicht einmal, wenn ich dich betrogen hätte. Du hättest dir das nicht einmal im Traum vorstellen können.«
Warren blinzelte, schwieg aber.
»Ich mache mir Sorgen um deine geistige Gesundheit, Warren. Ich meine es ernst.«
Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Deine Sorgen kümmern mich nicht mehr.«
»Und die Sorgen unserer Kinder?«
»Sie werden eines Tages wissen, wem sie wirklich etwas bedeutet haben.«
»Was soll das heißen?« Laurel stemmte sich gegen ihre Fesseln. »Du redest wie das Orakel von Delphi. Immer wieder behauptest du, ich hätte dein Vertrauen missbraucht. Okay, und wenn es wirklich so wäre? Nach allem, was Auster erzählt hat, hast du bei deinen Patienten das Gleiche getan. Du hast gegen deine eigenen Prinzipien verstoßen. Ich weiß nichts darüber, weil du es mir nicht erzählen willst. Aber er hat von Gefängnis gesprochen, Warren! Was immer du getan hast, es muss ziemlich schlimm gewesen sein. Ich verstehe es nicht, aber das muss ich auch nicht. Weil ich dir verzeihen kann. Weil ich weiß, dass du tief in deinem Innern ein guter Mensch bist. Warum also kannst du mir nicht verzeihen?«
»Das ist etwas vollkommen anderes.«
»Wieso? Ist Betrug eine kleinere Sünde als Ehebruch?«
»Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest. Du weißt nicht, was ich getan habe oder warum.«
»Aber ich möchte es wissen!«
»Und ich möchte wissen, was du getan hast. Wirst du es mir erzählen?«
Laurel biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte daran gedacht, ihm die Wahrheit zu gestehen. Wenn sie zugab, dass sie eine Affäre mit Danny McDavitt hatte, würde Warren ihr glauben.Zumindest, nachdem der erste Schock verflogen war. Weil jedes einzelne Wort mit dem vollen Gewicht der Wahrheit gesprochen würde. Die Frage war, wie würde Warren reagieren, sobald er diese Wahrheit akzeptiert hatte? Wäre ihr Liebhaber Kyle Auster gewesen – oder sonst jemand von Austers Schlag –, hätte Warren wahrscheinlich vor Abscheu getobt und geschrien, hätte sie aus dem Haus geworfen und sich von ihr scheiden lassen. Doch Danny McDavitt, das war etwas ganz anderes. In Warrens Augen war Selbstaufopferung die Essenz männlichen Heldentums, und er respektierte Danny mehr als jeden anderen Mann, dem er je begegnet war. Er kannte und bewunderte Dannys Heldentaten im Krieg. Doch er sah in ihm auch den hingebungsvollen Familienvater. Als Warren und Danny im vergangenen Jahr die Mädchen-Fußballmannschaft trainiert hatten, war Dannys Sohn Michael bei den meisten Trainingsstunden und bei sämtlichen Spielen dabei gewesen. Laurel hatte Warren viele Male dabei beobachtet, als er zugeschaut hatte, wie Danny mit unendlicher Geduld versuchte, seinen Sohn in das Spiel mit den anderen Kindern einzubinden. Was Laurel bei diesen Gelegenheiten in Warrens Gesicht gesehen hatte, war eine Mischung aus Mitleid und Bewunderung gewesen. Einmal war er nach dem Training in den Wagen gestiegen und hatte wortwörtlich gesagt: »McDavitt ist ein besserer Mann, als ich je gewesen bin. Wäre Grant so auf die Welt gekommen wie Michael, es hätte mich wahrscheinlich umgebracht.« Das war Monate gewesen, bevor Laurel und Danny angefangen hatten, sich heimlich zu treffen, und doch fragte Laurel sich manchmal, ob Warrens Bewunderung für Danny nicht einen perversen Teil seiner Anziehungskraft auf sie ausgemacht hatte.
Keine Beichte, entschied sie. Wenn Warren jetzt erfährt, dass ich Danny liebe – und Danny mich –, würde es ihn vernichten. Eine gefühlskältere Frau würde vielleicht die Wahrheit enthüllen in der Hoffnung, ihren Ehemann in den Selbstmord zu treiben, doch Laurel weigerte sich, auch nur daran zu denken. Erstens, weil sie unter keinen Umständen wollte, dass ihre Kinder den Vater verloren. Und zweitens, weil Warren vielleicht beschließenkönnte, sie und die
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