12 Stunden Angst
Abrechnungen frisierte. Abgesehen davon hasste Shields die Einmischung der Behörden in die ärztliche Versorgung. Auster zweifelte nicht daran, dass Warren Shields vor Gericht einen Wutanfall erleiden würde, sollte ein Staatsanwalt ihm Untreue und Betrug unterstellen. Wenn Biegler, dieser Bleistiftzähler, auf Shields losging, würde ihm eine Flutwelle aufrichtiger Empörung entgegenrollen. Anschließend würde Shields sein beachtliches ärztliches Wissen einsetzen, um jede Rechnung für jeden Patienten zu rechtfertigen, den er je untersucht hatte. Auster würde das Gleiche tun. Und wenn es Vida tatsächlich gelang, dafür zu sorgen, dass die speziellen Patienten schwiegen, würde alles wieder in Ordnung kommen …
9
L aurel lag gefesselt auf dem Sofa, während sie darum kämpfte, dass ihr Verstand nicht genauso taub wurde wie ihre Extremitäten. Die Minuten flossen zäh dahin wie Blut aus einer Wunde. Sämtliche Gedanken an Ehe, Ehebruch, selbst an ihre Schwangerschaft hatten sich verflüchtigt. Sie lebte nur noch, um die Zeit zu entdecken. Erst wenn sie wusste, wie lange es noch dauerte, bis die Kinder nach Hause kamen, konnte sie ihren nächsten Schritt planen – etwas, das sie vor einer Stunde noch als ungeheuerlich abgetan hätte. Flucht war ihre oberste Priorität gewesen, doch angesichts Warrens emotionalem Aufruhr durfte sie sich nicht damit zufriedengeben, aus dem Haus zu flüchten. Die schwere Glasvase, in die er uriniert und die er während ihres Fluchtversuchs in den Schutzraum fallen gelassen hatte, lag an der Wand, die das Wohnzimmer von der Küche trennte. Das mundgeblasene Gefäß, schwer und rund mit einem langen, sichverjüngenden Hals, besaß sämtliche Eigenschaften eines idealen Schlägers. Ein Schlag konnte Warren den Schädel zertrümmern – alles war besser, als ihre Kinder ahnungslos in diesen Alptraum spazieren zu lassen.
»Warren … ich mach mir gleich in die Hose!«, rief Laurel zum fünften oder sechsten Mal.
Warren blickte nicht einmal von ihrem Computer auf.
»Warum löst du dich nicht für einen Moment von dem Ding und suchst im Haus nach weiteren Beweisen? Es ist noch mehr versteckt, das darauf wartet, von dir entdeckt zu werden.«
Er kicherte leise. »Was ich suche, ist in den Schaltkreisen dieses Geräts versteckt.«
»Du solltest nach dem suchen, was Kyle Auster in diesem Haus versteckt hat, damit du deine Wut endlich an der richtigen Person auslassen kannst.«
Warren ignorierte sie.
Laurel versuchte eine neue Taktik. »Möchtest du wirklich, dass unsere Kinder mich so sehen? Gefesselt wie eine Geisel? Mit vollgepinkelter Hose? Wie willst du ihnen das erklären?«
»Du musst nicht auf die Toilette. Du willst nur, dass ich dich losbinde.«
»Ich platze gleich! Siehst du nicht den Schweiß in meinem Gesicht?«
Er bedachte sie mit einem flüchtigen Blick. »Wenn du so dringend musst, dann mach dir in die Hose. Ich werfe sie in die Waschmaschine, bevor die Kinder nach Hause kommen.«
Eine neue Sorge stieg in ihr auf. »Wie sollen die Kinder nach Hause kommen, wenn ich sie nicht abhole? Willst du sie etwa holen?«
»Vielleicht habe ich eine E-Mail an die Praxis geschickt, damit eine meiner Assistentinnen sie abholt.«
Sie hatte nicht gedacht, dass Warren E-Mails an andere Leute schicken könnte, während er seinen Paranoia-Anfall auslebte. »Wer?«
»Nell Roberts.«
Nell Roberts war eine hübsche, dunkelhaarige Südstaatenfrau, die jüngere Schwester der wasserstoffblonden Rezeptionistin, von der die Leute behaupteten, sie hätte ein Verhältnis mit Auster. Was würde Diane Rivers unternehmen, wenn Nell vor der Schule auftauchte, um die Kinder mitzunehmen, die Diane mitbringen sollte? Sie würde auf Laurels Handy anrufen, das inzwischen in Warrens Gesäßtasche steckte, und er würde ihr irgendeine aalglatte Erklärung liefern und jeden Verdacht im Keim ersticken – Ende der Geschichte.
»Wie lange noch, bis die Kinder aus der Schule kommen?«, fragte Laurel beiläufig.
Warren zuckte die Schultern. »Sie kommen, wenn sie kommen. Aber Nell bringt sie nicht her. Ich habe ihr keine E-Mail geschickt. Du bist eine so perfekte Mutter, dass du wahrscheinlich längst alles arrangiert hast, um sie nach der Schule nach Hause zu schaffen, richtig?«
Sein Sarkasmus ärgerte sie, aber wenigstens hatte sie erfahren, dass die Möglichkeit geblieben war, mit Hilfe von Diane zu intervenieren.
»Warren, ich flehe dich an, lass mich auf die Toilette gehen. Hast du denn nicht
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