12 Stunden Angst
Spiegelbilder von ihm. Manchmal fragte er sich, ob sie damit so weit danebenlag.
12
N ell saß am Empfang und versuchte ganz normal dreinzuschauen, doch innerlich war sie ein Wrack. In den letzten Minuten hatte die Praxis buchstäblich verrücktgespielt. Vida benahm sich wie eine Geheimagentin. Vor wenigen Augenblicken war ein seltsamer Kerl aus Richtung von Dr. Austers Büro gekommen und an ihr vorbeigetrottet. Dann hatte ein alter Mann in einem Röntgenhemd losgeschrien, jemand habe seine Sachen gestohlen. JaNel suchte nach Dr. Auster und konnte ihn nicht finden, und Vida hatte Nell gesagt, sie solle den Empfang alleine besetzen; sie, Vida, müsse sich um ein paar wichtige Dinge kümmern. Als Nell fragte, was los sei, hatte Vida sich zu ihr vorgebeugt und geflüstert: »Gib mir fünf Minuten, Honey, dann erzähle ich’s dir.«
Das waren fünf Minuten mehr, als Nell ertragen konnte, doch sie hatte die Zähne zusammengebissen und versucht, gelassen zu bleiben.
Dann hatte Dr. Shields angerufen, und sie hatte weiche Knie bekommen. »Ich muss dringend mit Kyle sprechen«, hatte Shields mit angespannter Stimme gesagt.
»Ich glaube, Dr. Auster ist nicht hier, Sir«, hatte Nell nervös geantwortet.
»Was ist denn das für eine Antwort? Entweder er ist da, oder er ist nicht da.«
»Äh … mehr weiß ich im Moment auch nicht, Sir.«
»Hören Sie, wenn dieser Hurensohn versucht, mir auszuweichen, dann richten Sie ihm aus, er soll gefälligst seinen Arsch ans Telefon schaffen!«
Nell blinzelte verstört angesichts von Dr. Shields’ Flüchen. Ein Schimpfwort aus dem Mund von Warren Shields im Büro war so unerhört wie eine Explosion. »Dr. Shields?«, fragte sie nervös.
»Ja?«
»Darf ich Ihnen etwas verraten?«
»Was?«
Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich war diejenige, die Ihnen die E-Mail geschrieben hat.«
Schweigen.
Nell war mit einem Mal sicher, dass sie einen Fehler gemacht hatte – doch dann sagte Shields: »Sie haben mir geschrieben, dass ich in meinem Panikraum nachsehen soll?«
»Ja, Sir.«
»Aber … woher wussten Sie, was dort versteckt war?«
»Ich wusste es nicht. Ich weiß es immer noch nicht. Ich wusste nur, dass es etwas Gefährliches sein muss. Meine Schwester hat mir davon erzählt. Ich habe versucht, Ihnen zu helfen, Sir. Ich versuche es immer noch.«
»Sie haben mir bereits geholfen, Nell, sehr sogar. Wissen Sie etwas von einem Brief? Einem Liebesbrief, geschrieben mit einem grünen Stift?«
Sie überlegte kurz, dachte an all die Papiere, die sie in den vergangenen paar Tagen gesehen hatte. »Nein, Sir.«
Eine lange Pause entstand. »Was ist heute in der Praxis los?«
Nell blinzelte die Tränen aus den Augen. Dass sie mit Dr. Shields direkt sprechen konnte, war eine unglaubliche Erleichterung für sie. »Die Lage ist außer Kontrolle, Sir. Ich glaube, irgendwelche Agenten aus Jackson sind unterwegs zu uns … wegen dem, was Dr. Auster und meine Schwester getan haben. Sie wissen, wovon ich spreche?«
»Ich fürchte ja.«
»Ich war nie hundert Prozent perfekt«, gestand Nell. »Aber ich habe nie jemandem absichtlich Schaden zugefügt. Und ich weiß, dass auch Sie nie einem anderen absichtlich schaden würden. Ich wollte … ich wollte einfach nicht, dass man das mit Ihnen macht. Das haben Sie nicht verdient, Dr. Shields.«
»Keine Sorge, Nell, mir passiert schon nichts. Machen Sie sich wegen mir keine Gedanken.«
»Ich weiß nicht … Sie sind so vertrauensselig. Sie dürfen Dr. Auster nicht über den Weg trauen.« Sie verstummte kurz; dannraunte sie: »Hören Sie, wenn ich ganz plötzlich auflege, liegt es daran, dass Vida reingekommen ist. Ich tue, was ich kann, Ihnen zu helfen, Sir, aber es ist besser, wenn Sie nicht hier anrufen … allein schon, weil diese Agenten unterwegs sind. Tun Sie einfach, was Sie für richtig halten. Sie können sich darauf verlassen, dass ich Ihnen den Rücken freihalte.«
Shields schwieg ein paar Sekunden lang. Schließlich sagte er: »Nell, ich muss Ihnen eine Frage stellen.«
»Machen Sie schnell.«
»Hat Kyle Auster eine Affäre?«
»Ja, Sir. Mit meiner Schwester.«
»Ich weiß. Aber gibt es noch eine andere?«
Nell war nicht sicher, ob sie antworten sollte, doch sie wollte nichts vor Dr. Shields zurückhalten; schließlich konnte es ihm irgendwie schaden. »Ich habe gehört, wie Dr. Auster vor zwei Tagen mit jemandem telefoniert hat. Ich glaube, er will mit einer anderen Frau durchbrennen.«
»Was? Mit
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