12 Stunden Angst
tut. Wir müssen uns von ihm fernhalten, bis es ihm wieder besser geht. Seid ihr so weit?«
Grant ballte die Faust. »Spiderman-Zeit!«
Laurel legte den Riegel um und schob das Fenster nach oben. Zu ihrem Entsetzen heulte die Alarmanlage los. Offensichtlich hatte Warren sie erst vor wenigen Sekunden aktiviert, denn sie hatte nicht angeschlagen, als Kyle Auster die Haustür geöffnet hatte.
»Beeil dich!«, drängte Laurel ihren Sohn. »Und sei vorsichtig!«
Grant kletterte rasch durch das Fenster und kroch auf Händen und Füßen die Dachschräge hinunter in Richtung der dicken Äste. Laurel folgte ihm und hielt die weinende Beth an der Hand. »Komm, Baby«, sagte sie und zog ihre Tochter hinter sich her. »Dir passiert nichts, keine Angst.« Beth war noch nicht ganz auf dem Fenstersims, als Warrens laut stampfende Schritte sich draußen auf dem Flur näherten.
Laurel zerrte Beth so heftig durchs Fenster, dass das Mädchen sich am Rahmen den Kopf anstieß. Beth schrie schmerzerfüllt auf, doch Laurel ließ nicht locker. Sie packte Beth und setzte sie sich in den Schoß, um mit ihr das steile Schieferdach hinunterzurutschen, doch im letzten Moment erschien Warren hinter ihr, packte sie an den Haaren und riss mit aller Kraft daran. Laurel schrie, er solle loslassen, doch er zog nur umso fester.
Beth drehte sich kreischend in Laurels Schoß herum, wahrscheinlich, um sich besser an ihrer Mutter festklammern zu können. Laurel hatte eine Hand nach hinten gestreckt, um sich aus Warrens Griff zu befreien, doch jetzt brauchte sie diese Hand, um Beth zu halten.
»Wenn du nicht aufhörst, fällt sie!«, schrie Laurel. »Lass los!«
Warren packte Laurel mit der anderen Hand unter dem Kinnund zerrte sie langsam durch das offene Fenster zurück ins Zimmer. Laurel konnte nicht einmal mehr atmen. Wenn sie ihre Gegenwehr nicht einstellte, verlor sie am Ende das Bewusstsein und ließ Beth fallen. Mit Tränen der Wut und Verzweiflung in den Augen ergab sie sich in ihr Schicksal.
Während sie darauf wartete, dass Warren sie durchs Fenster zerrte und losließ, betete sie, dass wenigstens Grant die Flucht gelungen war und dass er nicht auf seine Mutter und seine Schwester gewartet hatte.
»Grant!«, rief Warren nach unten. »Schaff deinen Hintern wieder hier rauf!«
Die Eiche erzitterte, als kletterte ein großer Waschbär durch das Geäst weiter unten. Dann landete Grant mit beiden Füßen auf der Plattform des Baumhauses.
»Ich rede mit dir, Grant! Du willst bestimmt nicht, dass dein Vater wütend wird!«
Die Hand an Laurels Kehle lockerte sich ein wenig.
»Schieb Beth her zu mir!«, befahl Warren. »Los, mach.«
Laurel gehorchte. Als er Beth durchs Fenster hob, bemerkte Laurel einen tellergroßen Blutfleck über seinem linken Schlüsselbein.
»Bloß ein Streifschuss«, sagte Warren. »Die Kugel hat meinen Kapuzenmuskel getroffen, falls es dich interessiert.«
Laurel wandte sich ab und kämpfte gegen den heftigen Impuls, auch ohne Beth das Dach hinunterzurutschen und in die Sicherheit der Eiche zu fliehen.
In diesem Augenblick ertönte von unten ein Geräusch wie von einer riesigen Angelspule. Laurel beugte sich vor und sah Grant über das Seil davonsurren wie ein Kommandosoldat in einem Kriegsfilm. Er strampelte mit den Füßen, damit das Rad auf dem Seil noch schneller lief. Laurel hätte ihn am liebsten laut angefeuert.
Warren fluchte lästerlich. Aus den Augenwinkeln bemerkte Laurel etwas Dunkles. Sie drehte sich um und sah, dass er den Revolver in der Hand hielt und zielte, als wollte er auf dieflüchtende Gestalt seines Sohnes feuern. Laurel schlug die Waffe zur Seite, kämpfte sich auf die Knie und baute sich vor Warren auf wie eine Wildkatze, die ihre Jungen verteidigt. Sie war außer sich vor Wut, und ihre Haut war heiß und juckte, als stünde sie unter Strom. »Ziel noch einmal mit diesem Ding auf meinen Sohn«, fauchte sie, »und ich kratz dir die Augen aus, ich schwör’s!«
Grant landete federnd im Sand und sprintete los, kaum dass er festen Boden unter den Füßen hatte. Verglichen mit einer 180°-Drehung über einer Halfpipe war das gar nichts. Er warf einen Blick über die Schulter, während er rannte, und bemerkte die Silhouette seines Vaters oben im Fenster seines Zimmers. Dad starrte ihm wortlos hinterher, während Mom ihm winkte, er solle weiterrennen. Der Anblick machte Grant mehr Angst als irgendetwas zuvor in seinem Leben.
Er rannte zuerst in Richtung Bach, weil es bergab ging, bog dann
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