12 - Tod Bei Vollmond
der Vollmond den Mörder zu seinen Taten verleitet?«
Accobrán lächelte zynisch. »Das ist zumindest einleuchtender als die Geschichte, die Lesren uns glauben machen will. Ehrlich gesagt, ich kann Gabrán nicht besonders leiden. Er ist manchmal ziemlich arrogant. Und doch glaube ich, daß der alte Liag recht hat. Was sollte es sonst für eine Erklärung geben?«
»Wir müssen in Erfahrung bringen, warum Brocc die Fremden beschuldigt, und wir müssen die Fremden aufsuchen, damit sie die Vorwürfe entkräften können«, unterstrich Eadulf. »Vor voreiligen Schlüssen sollten wir uns hüten.«
Er spürte, daß Fidelma ihn ansah, und errötete ein wenig, denn er wußte, daß er sich genau jener Worte bediente, mit denen sie ihn oft gerügt hatte.
»Das ist wohl wahr«, stimmte der junge Tanist zu. »Und je früher wir uns in der Festung stärken, desto eher können wir mit den Untersuchungen fortfahren.«
Sogleich führte er sie auf einem steilen Pfad den Hügel hinauf zu den hochaufragenden Umfriedungen von Rath Raithlen.
Das Mittagsmahl nahmen sie zusammen mit Becc ein. Der Fürst lächelte bitter, als man auf Lesren und Goll zu sprechen kam.
»Vielleicht hätte ich euch wegen der beiden vorwarnen sollen.«
»Ist denn dieser Zwist so ernst?« wollte Fidelma wissen.
»Das hängt davon ab, wie man die Sache sieht. Falls es so ist, wie Accobrán mir erklärt hat, und Lesren, dieser Trottel, bezichtigt immer noch Golls Sohn des Mordes an seiner Tochter und macht ihn damit auch für die anderen Morde verantwortlich, könnte es für Lesren ernst werden. Ich weiß genau, wie das Gesetz gegen die Verbreitung bösartiger Verleumdungen vorgeht.«
»Wie hat denn dieser Streit eigentlich begonnen?«
Becc dachte eine Weile nach. »Vermutlich fing er bereits vor vielen Jahren an. Lesren war vor seiner Ehe mit Bébháil schon einmal verheiratet.«
»Er hatte vorher eine andere Frau?« fragte Eadulf.
»Ja, so ist es. Sie hat sich von ihm scheiden lassen. Die Frau hieß Fínmed.« Er machte eine Pause, was dem Folgenden mehr Bedeutung verlieh. »Fínmed ist jetzt mit Goll verheiratet, sie ist Gabráns Mutter.«
Eadulf gelang es, einen Pfiff zu unterdrücken. Nur ein leises Zischen war zu hören, als er sich zurücklehnte. Fidelma blickte ihn vorwurfsvoll an.
»Vor dem Gesetz gelten mehrere Gründe, aus denen sich ein Paar trennen kann«, erklärte sie Eadulf. Dann fragte sie Becc: »Welcher Grund lag bei ihnen vor? Haben sie sich in gegenseitigem Einvernehmen getrennt? So daß jeder ohne Schuldvorwürfe ein neues Leben beginnen konnte?«
Becc schüttelte den Kopf. »Lesrens und Fínmeds Scheidung gehörte zu den Fällen, in denen die Schuldfrage von einem Brehon ganz eindeutig entschieden wurde. Fínmed verließ Lesren mit voller Entschädigung und ihrer coibche . Die coibche ist der Brautpreis, den der Mann seiner Frau oder deren Familie zu zahlen hat«, fügte er für Eadulf zur Erklärung hinzu.
»Ich weiß, was die coibche ist«, erwiderte Eadulf.
Becc bemerkte seine Taktlosigkeit sogleich. Er hatte vergessen, wie Fidelma und Eadulf zueinander standen. Eadulf hatte sich die Zeit genommen, die Cáin Lánamna, die Ehegesetze, zusammen mit Colgús oberstem Brehon durchzusprechen. Er wußte, daß eine Frau, die ihren Mann verließ und Schuld an der Trennung trug, ihre coibche , Sachgeschenke oder eine entsprechende Summe Geld ihrem Mann wieder zurückgeben mußte. War die Frau jedoch schuldlos, so konnte sie die coibche behalten und die Hälfte der während der Ehe erwachsenen Güter für sich beanspruchen.
»Was war denn der Scheidungsgrund?« fragte Fidelma.
»Lesren war ziemlich gewalttätig«, erklärte Becc. »Er trank oft und schlug Fínmed dann. Wie ihr wißt, hat eine Frau das Recht auf sofortige Scheidung, wenn sie von ihrem Mann geprügelt wird. Lesren mußte ihr ein Bußgeld zahlen und ihr die coibche überlassen. Obwohl sie aber durch den Ehevertrag Anspruch auf mehr hatte, wollte Fínmed nichts weiter von ihm annehmen und verließ ihn. Lesren war ihr nicht einmal dankbar dafür, daß er so ungeschoren davongekommen war, sondern grollte und verzieh ihr nie. Als sie Goll heiratete, tobte er vor Wut.«
»Aber er hat doch auch wieder geheiratet, bei allem, was recht ist«, meinte Eadulf.
»So ist es«, stimmte ihm Becc zu. »Lesren hat Bébháil geheiratet. Trotz der Gerüchte, die man so hört, scheinen sie glücklich miteinander zu sein, und sie hat ihm zumindest eine Tochter geschenkt,
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