12 - Tod Bei Vollmond
vernehmen. »Weshalb wird geläutet?«
Der Fürst blickte überrascht zu ihr hin, als hätte er die Glocke bisher nicht gehört. »Zu Lesrens Begräbnis, nehme ich an.«
Fidelma sprang auf. »Du lieber Himmel, ich hatte seine Beerdigung ganz vergessen. Eadulf, komm. Wir müssen daran teilnehmen.«
Eadulf erhob sich und eilte ihr nach. Auf der Türschwelle blieb sie plötzlich stehen, so daß Eadulf in sie hineinlief. Sie schaute sich noch einmal zu Becc um.
»Kommst du denn nicht mit?« fragte sie.
Der Fürst hatte sich an den Tisch gesetzt.
»Ich habe Lesren und dessen Familie nie besonders gemocht. Er war ein guter Gerber, mehr nicht. Accobrán ist dort, um sicherzustellen, daß alles ordnungsgemäß abläuft. Wenn ich hinginge, wäre es unaufrichtig.«
Fidelma wartete nicht, bis der Fürst zu Ende gesprochen hatte. Schon war sie draußen und wies den Stalljungen an, die Pferde zu satteln und sie ihnen unverzüglich zu bringen.
»Ich begreife nicht, warum du unbedingt an dieser Beerdigung teilnehmen willst«, meinte Eadulf.
»Bei Totenfeiern kann man so manche nützlichen Dinge erfahren«, antwortete sie geheimnisvoll.
Sie brauchten nicht lange bis zum Kloster. Auch andere Trauergäste hatten sich ein wenig verspätet. Der Torhüter, der sie einließ, zeigte zur Kapelle hinüber. Die Glocke war immer noch nicht verstummt.
Als Fidelma und Eadulf die Kapelle betraten, waren sie überrascht, wie viele Leute aus Rath Raithlen sich eingefunden hatten. Accobrán erblickten sie gleich, neben ihm saß der Verwalter Adag. Fidelma stieß Eadulf an und zeigte auf Gobnuid, den sie gerade entdeckt hatte. Bébháil hatte ganz vorn neben einer Frau Platz genommen, die ihr sehr ähnelte. Das mußte ihre Schwester sein. Man hatte sie hergeholt, damit sie sich um den Haushalt kümmerte. Auch Creoda war da, mit ängstlichem Blick stand er hinter Tómma. Die drei Fremden allerdings waren nicht anwesend. Es gab auch keinen Grund dafür. Abt Brogán sagte Fidelma später, daß er es für klüger gehalten hatte, sie von den Feierlichkeiten auszuschließen, um Unruhe zu vermeiden.
Die Versammelten wurden nun von den düsteren Schlägen einer anderen Glocke zur Ruhe gebracht, der großen Totenglocke, die man immer läutete, wenn ein Christ gestorben war. Die anwesenden Mönche begannen das Requiem zu singen, das écnairc , eine Fürbitte für den Frieden der Seele des Toten. Wahrscheinlich hatten Mitglieder aus Bébháils Familie die ganze Nacht Totenwache gehalten, diesen Brauch kannte Eadulf. Manchmal wurden von den Verwandten und Freunden auch die cluiche caintech , die sogenannten Bestattungsspiele, veranstaltet, die dem Totenmahl vorausgingen.
Man hatte den Toten in ein Leichentuch gewickelt und ihn auf eine hölzerne Bahre gelegt. Vor der Beerdigung war es Sitte, daß die Trauernden den Toten unter lauten Klagerufen zur Kapelle begleiteten. Klageweiber weinten dabei laut und klatschten rhythmisch in die Hände.
Nachdem man die Gebete und Psalmen gesprochen hatte, wurde die Bahre von vier Männern hochgehoben und aus der Kapelle getragen. Fidelma und Eadulf folgten den Trauernden. Draußen hatte man ein Grab ausgehoben, in das die Leiche langsam hinabgelassen wurde. Die Frauen stimmten dabei ein lautes Klagelied an.
Nun trat ein Mann vor und schlug mit einer Axt die Totenbahre klein. Als Fidelma Eadulfs erstaunten Blick sah, erklärte sie ihm flüsternd: »Es ist hier Brauch, die Bahre zu zerstören. Läßt man sie nämlich ganz, so können die bösen Geister und das Feenvolk sie benutzen, um die Leiche auf ihren nächtlichen Ausflügen mit sich fortzutragen. Ist sie zerstört, hat der Tote seine Ruhe.«
Eadulf dachte gerade, daß es weder die rechte Zeit noch der rechte Ort sei, um die Beibehaltung heidnischer Rituale innerhalb einer christlichen Zeremonie zu kritisieren. Da sah er, daß sich alle vor einem Mönch aufstellten, der neben einem großen Stoß Ginster stand. Der Mönch reichte jedem einen Zweig, der dann ins Grab geworfen wurde.
»Das tut man, um die Leiche da unten vor dem Lehm zu schützen«, erklärte Fidelma. »Darüber hinaus erweist man dem Toten damit die letzte Ehre.«
Danach wurde das Grab zugeschaufelt. Bébháils Schwester hob die Hände, und das Klagen verstummte.
»Das Amra – die Totenrede – wird von meinem Mann gehalten.«
Nun trat ein Mann vor, der wie ein Bauer aussah. Offensichtlich war er tief unglücklich, mit dieser Aufgabe betraut worden zu sein. Er sprach schnell und
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