1202 - So enden sie alle
vorgekommen wie ein böser Traum, der auch jetzt noch nicht endete, denn sie lag in völliger Isolation und Dunkelheit in einer Zelle, in der sie bisher nur einmal gewesen war, als sie nicht gehorcht hatte.
Es war so etwas wie ein Karzer. Einzelhaft in der Schule. Das hatte es früher gegeben, aber das hier war schlimmer, viel schlimmer. Es gab keinen Stuhl, keine Decke, nur dieser würfelähnliche und mit Kunststoff verkleidete Raum, in dem sie so gut wie keine Bewegungsfreiheit hatte.
Carlotta hatte sich hingesetzt und den Hinterkopf gegen die Wand gestützt. Die Augen hielt sie offen, obwohl sie nichts sah, aber sie wollte es so.
Angst!
Ja, sie hatte Angst. Weniger um sich, als um ihre neuen Freunde, die ihr hatten helfen wollen.
Elax persönlich hatte ihr erklärt, dass sie nicht mehr frei waren. Sie waren gefangen genommen worden. Maxine und Suko. Jetzt ruhten die Hoffnungen einzig und allein auf John Sinclair. Aber was sollte ein Einzelner gegen die Übermacht ausrichten?
Sie hatte einen Fluchtversuch risikiert. Sie hatte es auch geschafft, doch ein zweiter würde ihr nicht gelingen. Sie würde sich in der Zukunft immer mehr wie eine Gefangene fühlen.
Es war der Zeitpunkt erreicht, an dem sie begann, ihr Schicksal und sich selbst zu hassen. Sie war kein Mensch, sie war auch kein Vogel. Sie war das Vogel-Mädchen und zugleich der Prototyp einer neuen Generation, wie ihr Elax mal erklärt hatte.
Sie würde nicht die Einzige bleiben. Er würde weitere Personen herstellen oder züchten, wie auch immer.
Er hatte ja genug geholt. Entführte Straßenkinder. Nicht nur aus England. Er hatte sie von überallher kommen lassen, auch aus Übersee, wo es bei dem Kinderreichtum kaum auffiel, wenn eines fehlte. Dem Professor standen alle Chancen offen.
Er konnte mit seinen Probanten machen, was er wollte.
In der Zelle war es nicht warm und auch nicht kalt. Es herrschte schon eine ungewöhnliche Temperatur, die Carlotta irgendwie als klebrig empfand.
Sie blieb weiterhin sitzen, und wusste, dass ihr gegenüber die Tür lag, obwohl sie sie nicht sah. Dafür hörte sie von außerhalb her die Schritte.
Sie horchte auf.
Es war klar, so ging nur eine Person, und das war der verfluchte Professor. Dieses Schlurfen und harte Auftreten, sie kannte es nur zu gut.
Vor der schmalen Tür verstummte das Geräusch. Dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss, und einen Moment später war die Tür offen, und der Professor stand auf der Schwelle, umflutet vom Licht einer Lampe, die hinter seinem Rücken brannte.
»Da bist du ja wieder, Kleine…«
Carlotta senkte den Kopf. Sie wollte ihn nicht sehen und starrte lieber auf ihre Knie.
»War nur ein kurzer Ausflug.«
Sie schwieg.
»Aber einer, der mich sauer gemacht hat. Ich hasse es, wenn man meine Pläne stört, und das ist dir tatsächlich gelungen, verdammt noch mal. Du bist mein Geschöpf, und du hast dich tatsächlich gegen mich gestellt. Ich begreife es nicht. Ich kann es nicht fassen. Ich hasse es, wenn man so etwas tut. Du bist so einmalig. Ich habe etwas Hervorragendes geleistet, und jetzt ist alles vorbei. Du hast dich gezeigt. Viel früher als es hätte sein sollen. Ich weiß, ich rede vielleicht zuviel. Aber ich muss es tun!« Plötzlich schrie er los. »Schau mich wenigstens an, wenn ich mit dir spreche!«
Carlotta zuckte zusammen. Sie wagte nicht, ihren Blick zu heben. Sie wollte den Verwachsenen nicht sehen, weil sie ihn hasste. Seinen Körper, sein Gesicht, den schiefen feuchten Mund und selbst die feinen Hände.
Sie hörte ihn. Er kam auf sie zu. Er wollte sie anfassen, und sie hatte den Eindruck, dass sie durch ihn bestraft werden sollte für all das, was sie ihm angetan hatte. Durch ihre Flucht musste sie ihn beleidigt haben, und so etwas konnte er nicht verkraften.
Dann war er bei ihr. Er stand dicht vor ihrem gekrümmt sitzenden Körper. Sie nahm seinen Geruch wahr. Er roch irgendwie immer nach Medizin. Genau wusste sie nicht, was es war, aber sie hasste auch den Geruch an ihm.
Carlotta sah nicht, dass er sich nach unten beugte. Aber sie spürte seine Berührung, und die ließ sie erschauern. Es war die Hand, die weiche und sensible Hand mit den langen Fingern.
Sie strich an ihrem Nacken entlang nach unten. Auch auf der Nackenhaut wuchs der dünne Flaum der Federn. Seine Hand glitt gegen den Strich, und Carlotta fühlte, wie sich die hauchzarten Federn aufrichteten.
»Dabei bist du so schön«, flüsterte er ihr entgegen. »So wunderschön. Durch mich
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