1206 - Das Blut der schönen Frauen
die Augen starr. Ihr Blick war auf etwas gefallen, das sie bisher noch nicht entdeckt hatte. Es war ein Fleck.
Einer, der rot schimmerte. Wie Blut.
Für einen Moment wagte sie nicht, Atem zu holen. Sie fror wieder innerlich ein. Selbst in den Fingerspitzen war für sie die Kälte zu spüren.
Blut auf dem Kissen. Ein feuchter Fleck, wie sie durch eine kurze Berührung feststellte. Zuerst wollte sie das Zimmer verlassen, dann riss sie das Kissen hoch und starrte weitere Flecken an, die unter dem Kissen ein Muster gebildet hatten.
Hier war etwas passiert. Hier hatte sich jemand verletzt oder war möglicherweise ermordet worden.
Ihr Puls raste. Sie fror auch nicht mehr, denn das Blut schoss in ihren Kopf. Mit einer heftigen Bewegung drehte sich Alexandra um, weil sie plötzlich den Eindruck hatte, nicht mehr allein im Zimmer zu sein.
Aber da war niemand.
Sie atmete auf, ohne sich richtig erleichtert zu fühlen. Die vor ihr liegende Nacht würde noch schlimm werden - schlimm und verdammt lang. Sie hörte sich selbst stöhnen. Im Kopf tobten einige Gedanken, die sie nicht in die richtige Reihenfolge bringen konnte. Das hier entwickelte sich allmählich zu einem Albtraum. Sie glaubte fest daran, in das falsche Haus geraten zu sein, das für sie sogar gefährlich werden konnte. Es stand so einsam. Niemand würde ihre Schreie hören, wenn ihr etwas passierte.
Erst vor kurzem hatte sie noch den Film Psycho gesehen.
Darin spielte auch ein einsam auf einem Hügel stehendes Haus eine Rolle. So ähnlich wie die blonde Frau, die unter der Dusche ihr Leben hatte aushauchen müssen, kam sie sich auch vor. Fehlte nur noch die schrille Musik dazu. Aber die konnte sie sich einbilden.
»Alexandra? Kommst du?«
Kalina hatte gerufen. Die Deutsche schreckte zusammen.
Automatisch schaute sie auf ihre Uhr und stellte mit Schrecken fest, dass die halbe Stunde vorbei war.
Hastig riss sie die Tür auf. »Ja, ich komme. Tut mir Leid, Kalina, ich war…«
»Schon gut. Aber jetzt solltest du kommen.«
»Natürlich«, murmelte sie.
Hunger hatte sie keinen. Aber sie konnte auch nicht im Zimmer bleiben und ihre Äpfel essen. Das würde die Frau nicht akzeptieren.
Und so machte sich Alexandra auf den Weg nach unten und hatte dabei das Gefühl, in die Höhle des Löwen zu gehen…
***
Es war alles nicht so schlimm. Es war sogar sehr nett. Kalina hatte in der altmodischen und überladenen Küche eingedeckt und auf dem mächtigen Eisenofen eine kräftige Suppe aus Kräutern gekocht. Dazu hatte sie Brot aufgeschnitten und es auf einem Tablett verteilt. Auf dem Holztisch, an dem sich die beiden Frauen gegenübersaßen, standen zwei Kerzen in kleinen Leuchtern. Das Licht schaffte eine gemütliche Atmosphäre, ließ aber die Umgebung im Schatten. Einige wenige Lichtreflexe erreichten noch die Scheibe des Fensters, auf der sie ein zuckendes Muster hinterließen, wo Helligkeit und Schatten sich gegenseitig jagten.
Kalina hatte sich umgezogen. Sie schien die Farbe des Ochsenbluts zu lieben, denn ihr langes Wollkleid schimmerte in diesem Farbton. Das dichte Haar hatte sie hochgekämmt und dabei zurückgesteckt. So wirkte ihr Gesicht noch größer.
Alexandra versuchte, ihren Blick nicht zu oft darauf ruhen zu lassen, während sie Brot aß und die Suppe löffelte, doch sie konnte nicht anders und musste immer wieder hochschauen.
Der Blick dieser Augen zog sie einfach an. Sie glichen zwei Magneten, an denen sie wirklich nicht vorbeischauen konnte, und sie sah auch hin und wieder das rätselhafte Lächeln auf den Lippen der geheimnisvollen Frau, die tatsächlich eine leckere Suppe aus Kräutern gekocht hatte.
Kräuter, dachte Alexandra. Hexen kochen auch mit Kräutern.
Sie verglich diese Person plötzlich mit einer Hexe, obwohl das Unsinn war. Das gab es nur in den Märchen, doch in dieser düsteren Atmosphäre konnte sie sich schon eine Hexe vorstellen.
»Schmeckt dir das Essen, meine Liebe?«
»Ja, es ist ausgezeichnet.«
»Das freut mich.« Kalina ließ den Löffel sinken. »In der kurzen Zeit konnte ich uns leider nichts anderes zubereiten, aber die Kräuter aus meinem Garten sind wirklich ausgezeichnet. Möchtest du auch etwas trinken?«
»Später.«
»Das ist gut.« Kalina lächelte. »Ich habe einen wunderbaren Wein. Selbst hergestellt. Es ist ein Beerenwein. Ich kenne ihn aus meiner Heimat.«
»Wo liegt die denn?«
»Auf dem Balkan. Aber auch in Österreich stellt man ihn her. Er mundet den Menschen dort, und ich bin immer
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