1206 - Das Blut der schönen Frauen
wieder davon begeistert, wenn ich ihn trinke. Erdbeeren, Himbeeren, sogar Stachelbeeren. Für mich ist alles ein Genuss.«
»Ja, ich freue mich auch.«
Alexandra aß weiter. Die Atmosphäre hier unten und auch die gut schmeckende Suppe hatten ihre Angst verfliegen lassen. Die Bedrohung war zurückgewichen, sie fühlte sich fast wieder normal und lehnte auch einen Nachschlag nicht ab.
»Dann hat es dir wirklich geschmeckt, meine Liebe.« Kalina selbst aß nichts mehr. Stattdessen stand sie auf und trat an einen alten Weichholzschrank heran. Er bestand aus einem breiteren Bord und einem schmaleren Oberteil. Darin standen Teller und Tassen in den verschiedendsten Größen. Auf dem breiten Bord hatten die verschiedenen Flaschen mit den entsprechenden Inhalten ihren Platz gefunden. Gläser standen dort ebenfalls. Es waren mehr Becher aus dickem Glas. Zwei von ihnen stellte Kalina auf den Tisch und brachte auch die beiden Flaschen mit Beerenwein mit.
»So - Erdbeeren oder Himbeeren?«
»Ich weiß nicht…«
»Fang mal mit den Erdbeeren an.«
»Wie du meinst…«
Alexandra hatte ihren Teller so gut wie leer gegessen. Sie räumte ihn selbst ab und stellte ihn in die Spüle. Man konnte sie auch als ein großes Waschbecken ansehen.
Hinter ihr flackerte das Licht so seltsam. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass ihre Gastgeberin die Beleuchtung verdoppelt hatte. Jetzt verteilten sich vier Kerzen auf dem Tisch.
Der Wein war schon eingeschenkt. Er füllte mit seiner roten Flüssigkeit die Gläser, und die Deutsche musste wieder an die Blutflecken im Bett denken.
Sie sagte nichts. Sie setzte sich, schluckte einige Male und versuchte sogar, sich ein Lächeln abzuringen.
Kalina hob ihr Glas an. »Ja, dann wollen wir darauf trinken, dass es unsere schöne Welt auch noch in hundert Jahren gibt.«
Die Deutsche war ein wenig irritiert und schüttelte den Kopf.
»Das ist aber ein seltsamer Trinkspruch.«
»Stimmt, aber er passt zu mir.«
»Wenn du meinst.« Auch Alexandra nahm ihr Glas. Sie schaute kurz über den Rand hinweg, sah, dass ihr Gegenüber zuerst trank und nahm dann ebenfalls einen Schluck.
Sie hatte noch nie in ihrem Leben Erdbeerwein getrunken.
Jetzt wunderte sie sich allerdings, wie gut ihr der Wein schmeckte, der wesentlich weniger süß war, als sie es angenommen hatte. Er besaß sogar einen leichten Hauch von Zitronengeschmack.
»Nun, meine Liebe?«
Alexandra stellte das Glas ab und nickte. »Doch ja, man kann ihn trinken. Sogar sehr gut. Ich bin wirklich überrascht. Fantastisch.«
»Das freut mich. Ich stelle ihn selbst her. Die alten Rezepte meiner Heimat sind wirklich etwas Besonderes. Er ist nicht zu süß, er ist einfach süffig. Wir werden uns den Abend noch verschönern.«
Alexandra lächelte verhalten. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Wieder mal kam ihr die Situation so fremd vor. Erst dort oben das Blut im Zimmer, dann hatte sie auch die Stimmen gehört, und jetzt saß sie mit Kalina, dieser außergewöhnlichen Person, allein in der Küche, umgeben von der Stille, die kaum von einem hörbaren Windstoß gestört wurde.
Es war beinahe wie im Märchen. Allerdings musste sie bei diesem Vergleich auch daran denken, dass Märchen nicht immer gut ausgingen, und auch dieses musste nicht unbedingt ein Happy End haben. Noch immer wusste sie so gut wie nichts über diese Frau. War sie eine böse Hexe? War sie die Figur aus dem Märchen, die sich noch verstellte und ihr wahres Gesicht erst später zeigte? Was hatte sie vor? So reagierte eine normale Pensionswirtin nicht. Das hatte Alexandra zumindest auf ihrer kurzen Reise niemals erlebt.
Sie fürchtete sich nicht vor dem Blick der Frau, er war ihr nur unangenehm. So taxierend, als wäre sie dabei, etwas zu suchen und musste zunächst tief in die Seele blicken.
Alexandra kannte sich im Leben aus. Sie wusste, wie unterschiedlich Menschen waren. Es kam ihr in den Sinn, dass Kalina möglicherweise lesbisch war und sie in dieser Nacht noch etwas mit ihr vorhatte, wenn sie beide die beiden Flaschen geleert hatten.
Das wollte die Deutsche auf keinen Fall. Sie nahm sich deshalb vor, sich mit dem Trinken zurückzuhalten. Den zweiten Schluck trank sie noch, dann stellte sie das Glas mit einer recht entschlossenen Bewegung zurück auf den Tisch.
»Was ist? Magst du ihn nicht mehr?«
»Na ja, das will ich nicht sagen, wirklich nicht. Aber ich bin es nicht gewohnt, einen so starken Wein zu trinken. Ich möchte eine kleine Pause einlegen.«
»Bitte,
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