1209 - Die Pest-Gitarre
ernährt und ein freies Leben geführt, was ihr gefiel. In diesem Jahr allerdings hatte sie schon oft genug das Wetter verflucht, denn der Frühling fiel einfach aus und damit auch ihr Anfangsgeschäft.
Die Leute froren und hatten anderes zu tun als an Schmuck zu denken.
So blieb es nicht aus, dass sie knapp bei Kasse war.
Die Miete für den Monat April hatte sie gerade noch bezahlen können, und wenn sie sich in ihrer Bude umschaute, hätte sie am liebsten alles zertreten.
Das war keine Wohnung, das war eine Zelle, oder ein Rattenloch.
Doch bei den Preisen blieb den Menschen nichts anderes übrig, als auch so zu wohnen. London war zu einem teueren und fast unbezahlbaren Pflaster geworden.
Das Rattenloch lag nahe der Portobello Road. Das Haus selbst war nicht mal schlecht, auch die normalen Wohnungen konnten sich sehen lassen, aber zur Rückseite hin lag der Anbau, den Ruby nur »das Geschwür« nannte, weil es einfach nicht zu dem normalen Stil passte.
Drei Wohnungen verteilten sich dort sternförmig. Jede Bude besaß zwei Zimmer, und eine Dusche war in die Küche eingebaut worden. Die Toilette lag auf dem Flur. Ein enger Verschlag, nicht mehr. Zum Glück gab es davon drei, sodass jeder Mieter seine eigene Toilette besaß.
Die Heizung war auch nicht mehr die beste. Sie funktionierte nicht so richtig, denn die Wärme hielt sich in Grenzen. Es beschwerte sich nur keiner, denn der Hausbesitzer, ein eitler Geck und Schaumacher, warf die Mieter sofort raus, wenn sie etwas beanstandeten. Nachfolger gab es genug.
Ein größeres und ein kleineres Zimmer, das war Rubys Bleibe. Im kleineren schlief sie. Zwei Betten hätten nicht reingepasst. Er war gerade mal Platz genug für ein Bett und den schmalen Schrank.
Im größeren Raum hatte sie untergebracht, was nur unterzubringen ging. Vor allen Dingen ihre Werkstatt. Dort war sie kreativ tätig. Dort lötete, drehte und bastelte sie ihren Schmuck zusammen. Besucher konnten auf einem der beiden Sessel sitzen oder auf Fußbänken Platz nehmen. Dann mussten diese allerdings leer geräumt werden.
Glotze, Kochplatte, Kaffeemaschine. Ein Regal, in dem sie Lebensmittel unterbrachte, und ein Fenster, das so groß war wie das einer Gefängniszelle. Im Winter konnte man in dieser Wohnung leicht durchdrehen.
Ruby war schon zu Bett gegangen, als sie der Anruf aus dem ersten Schlaf gerissen hatte. Sie stellte das Handy immer auf laut, so hörte sie es auch in der Nacht.
Sie bekam noch Besuch.
Pee wollte kommen.
Den Grund hatte er nicht gesagt. Er hatte ihr nur erklärt, dass er mit ihr reden wollte. Sie fand es zwar ungewöhnlich mitten in der Nacht, doch ein Typ wie Pee war für jede Überraschung gut.
Ruby war aufgestanden und hatte zunächst mal einen starken Kaffee gekocht. Die wichtigen Küchenutensilien standen dicht beisammen, und über dem Waschbecken hing ein Spiegel, in den Ruby ab und zu schaute.
Sie sah darin eine junge Frau von knapp 25 Jahren, die ihr dichtes, lockiges Haar hellrot gefärbt hatte. Darunter zeichnete sich ein rundes Gesicht mit einem kleinen Mund ab. Ruby hatte helle Augen, die jetzt allerdings müde blickten.
Wie immer trug sie die dunkle Kleidung der Kreativen. Einen schwarzen Pullover, dazu eine schwarze Samthose, deren Beine ausgestellt waren. In den Schlaufen an der Hüfte steckte ein ebenfalls dunkler Gürtel mit Metallbeschlägen. Eine Eigenproduktion.
Der Kaffee war durchgelaufen. Jetzt wartete sie nur noch auf Pee, der so schnell wie möglich kommen wollte.
Man konnte ja über diese Gegend sagen, was man wollte, aber ruhig war es in der Nacht schon. Und so hörte Ruby auch, wie Pee mit seinem Wagen vor dem Haus vorfuhr und den Motor abstellte. Dabei ertönte stets ein würgendes Geräusch, als wäre das Auto dabei, all seinen Ärger auszuspucken.
Pee betrat den Anbau knapp einige Minuten später. Ruby stand schon in der offenen Tür und hatte sich ein Lächeln abgequält. Sie sah ihren Freund ankommen und runzelte die Stirn, denn Pee gefiel ihr nicht. Sie kannte ihn als einen lockeren Typen, den so leicht nichts aus der Bahn warf. Der vor allen Dingen dann noch lachte, wenn andere in Trauer fielen.
In dieser Nacht nicht. Da er ziemlich bescheiden war, fast verkniffen und wie von schweren Sorgen gezeichnet. Als sie ihm einen Kuss geben wollte, zeigte er ein Lächeln, aber es wirkte sehr gekünstelt. Und noch etwas wunderte sie. Pee war nicht allein gekommen. Er hatte seine Gitarre mitgebracht, die er vorsichtig über die Schwelle in
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