121 - Das Scheusal aus dem Nichts
ich mit Ihrem Freund zu
tun?“
„Er muß hier im Stall sein.“
„Hier ist niemand. Wir hätten ihn sehen
müssen.“
„Ich habe ihn hineingehen sehen!“ Steffanie
fuhr sich über ihre fieberheiße Stirn.
Amelia Porkar lachte leise. „Er ist Ihnen
davongelaufen, stimmt’s?“
Steffanie Holten glaubte nicht richtig zu
hören. „Warum sollte er mir davonlaufen?“
„Das weiß ich doch nicht!“ Sie machte eine
kleine Pause und leuchtete der Berliner Studentin ins Gesicht. „Vielleicht
haben Sie sich gestritten. Männer sind manchmal komisch. Man muß sie laufen
lassen, wenn sie davongehen. Sie kommen auch wieder. Glauben Sie mir! Warten
Sie nur ab! Sie werden sehen, daß ich recht behalte.“
„Wieso sind Sie eigentlich hier?“ Plötzlich
fiel ihr das auf, und sie sprach es genauso aus, wie es ihr in den Sinn kam.
„Ich habe Geräusche gehört. Wenn einem viele
Jahre die Geräuschkulisse einer Umgebung kennt, fällt einem - selbst im Tief
schlaf - sofort jegliche Abweichung auf. Ich habe Sie zu den Ställen laufen
sehen, da bin ich Ihnen einfach gefolgt. Ich denke doch, das ist mein gutes
Recht.“
Dagegen ließ sich nichts einwenden. „Aber nun
kommen Sie!“ Sie packte Steffanie einfach am Arm und zog sie mit. „Sie sehen
ganz verfroren aus. Der Wind ist kalt, die Nacht ist feucht. Sie können sich
den Tod holen. Kommen Sie mit. ich bereite Ihnen einen Grog!“ Steffanie,
eigenartig antriebslos, lief mit Amelia Porkar über den nächtlichen Hof. Der
Regen war stärker geworden. Ihr kurzgeschnittenes Haar war im Nu durchnäßt und
klebte am Kopf.
Rasch war Wasser heiß gemacht und ein Grog
bereitet.
Das heiße Getränk tat Steffanie gut.
Zwischendurch hörte sie immer wieder Amelia Porkar etwas sagen, aber sie
erfaßte den Sinn nicht und war mit ihren Gedanken woanders.
„Er ist gezeichnet - man muß sich vor ihm in acht nehmen. Krankheit, Tod - sie bringen es mit. .
Steffanie schüttelte den Kopf. Wie konnte
jemand nur einen solchen Unfug zusammenreden?!
Aber sie brachte die Kraft nicht auf, irgend etwas dagegen einzuwenden.
Wie im Schlaf ging sie schließlich die Treppe
nach oben, die zu ihrem Zimmer führte. Amelia Porkar begleitete sie.
Die Berlinerin wußte nicht mehr, wie sie ins
Bett kam. Ihr Körper fühlte sich heiß und schwer an, und sie fiel nieder wie
ein Stein. Daran ist nur der Grog schuld, meldeten sich noch mal die Gedanken
in ihrem Unterbewußtsein.
Verrückte Nacht! Dieses komische Ding, dann
Bernhards Verschwinden, schließlich das irre Gerede der Porkar.
Dann Dunkelheit.
Schlaff fiel ihr Kopf auf die Seite.
Amelia Porkar stand an der Tür und blickte
auf das Bett, in dem das Mädchen lag, ohne dem zweiten, leeren Bett auch nur
einen einzigen Blick zu gönnen. Um die schmalen Lippen der Gutsherrin lag ein
teuflisches, triumphierendes Grinsen.
*
Als sie wach wurde, fiel bleiches Tageslicht
ins Zimmer.
Steffanie Holten blinzelte. „Bernhard ...“
Das waren die ersten Silben, die sie sprach. Sie drehte den Kopf. Das Bett
gegenüber - war leer.
Das Mädchen richtete sich auf. Alle Glieder
schmerzten ihr, sie fühlte sich wie gerädert, und langsam kehrte die Erinnerung
an die seltsame Regennacht wieder, die hinter ihr lag.
Wie zerschlagen stieg sie aus dem Bett. Ihr
Schädel dröhnte.
Sie schüttelte den Kopf, begriff die Welt
nicht mehr und merkte wie sie mühselig einen Vorgang nach dem anderen zusammen
bekam.
Das komische Gerede der Porkar, das
Verschwinden von Bernhard - zum Teufel noch mal, was für ein Haus war das hier
und was wurde gespielt!?
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es
war noch früh am Morgen. Kurz vor sieben. Im Haus rumorte es. Sie hörte ferne
Stimmen. Irgendwo klappte eine Tür.
Draußen im Hof war auch etwas los.
Steffanie Holten lief barfuß zum Fenster und
blieb hinter dem Vorhang stehen. Drunten waren Leute. Sie zählte vier. Die
Türen zu den Ställen standen weit offen, die Porkar gestikulierte mit den
Händen in der Luft. Sie redete wieder eine ganze Menge, aber sie sprach leise.
Die toten Tiere wurden aus dem Stall
geschafft. Zwei Männer in blauen Cordhosen, der eine mit einem dicken,
schwarzen Rollkragenpullover bekleidet, der andere mit einem Parka, verließen
kopfschüttelnd das Anwesen.
Steffanie blickte ihnen nach. Draußen vor dem
Zauntor stand ein Traktor mit einem Wagen. Die beiden Männer kamen aus dem Dorf
oder fuhren ins Dorf zurück. Der Motor sprang an und tuckerte. Das schwere
Fahrzeug setzte
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