1219 - Die Abrechnung
die Chance vor mir, sie alle auf einmal zu vernichten.«
Sendrine begriff die Erklärungen nicht. Zumindest nicht in allen Einzelheiten. Sie schaute zur Seite, weil sie den steche nden Blick nicht mehr ertragen konnte.
Ihr Onkel war tot. Sie wusste nichts über sein Leben. Erst durch van Akkeren waren Fragmente seines Daseins aus dem Dunkel hervorgeholt worden. Auch damit hatte sie ihre Probleme.
Sie wusste nur, dass Bloch ein besonderes Leben geführt hatte und er so etwas wie der Anführer einer Gruppe gewesen war.
Sie schärfte sich ein, nicht mehr so gefühlsmäßig zu handeln.
Etwas cooler sein, sich nicht dem eigenen Schrecken hingeben.
Mit relativ klarer Stimme fragte sie: »Es tut mir Leid, doch ich weiß noch immer nicht, wovon Sie genau reden.«
»Dabei ist es so einfach.«
»Für Sie vielleicht, nicht für mich. Ich weiß so gut wie nichts über meinen toten Onkel.«
»Er war ein Templer.«
»Na und?«
»Du kennst sie nicht?«
Sendrine schüttelte den Kopf. Damit log sie nicht einmal. Sie kannte die Templer tatsächlich nicht. Dieser Begriff war ihr so fremd wie einer aus der Computerbranche, die auch nicht ihr Fall war.
»Die Templer gab es schon im Mittelalter«, erklärte van Akkeren. »Sie haben an den Kreuzzügen teilgenommen, und sie sind eine mächtige Gruppe geworden. Sie haben in vielen Teilen der damals bekannten Welt ihre Spuren hinterlassen. Sie haben mitgeholfen, Jerusalem zu befreien und dabei auch an sich gedacht. Der Orden wurde reich. Er baute Burgen und Schlösser. Es gab nicht wenige seiner Brüder, die in Saus und Braus lebten. Das gefiel der offiziellen Kirche nicht. Der Papst, in Verbindung mit weltlichen Herrschern, beschloss, den Orden aufzulösen und seine Mitglieder zu töten. Es kam zu furchtbaren Gräueltaten, und die Templer verloren nicht nur ihren Glauben an die Menschheit, sondern auch den an das höhere Wesen.« Van Akkeren grinste. »Das war dann die Stunde des Dämons Baphomet. Bei ihm sammelten sich die ausgestoßenen Templer. Er fing sie auf. Baphomet war der große Held. Unter seinem Schutz konnten sie fliehen, und so wurde eine neue Gruppe aufgebaut, die eben Baphomet diente. Leider gingen nicht alle den Weg. Es gab noch zu viele, die weiterhin so borniert waren und an die alten, edlen und hehren Ziele glaubten. Es kam wie es kommen musste. Beide Zweige bekämpften sich bis aufs Blut, und das ist über die Jahrhunderte so geblieben. Der große Anführer ist der Abbé Bloch gewesen, zumindest in der heutigen Zeit, und ich stehe auf der anderen Seite, denn ich bin der Führer der Baphomet-Templer. Ich bin Baphomet. Ich bin Mensch und zugleich Dämon. Ich habe den Weg zu ihm gefunden, und ich habe es geschafft, meine Niederlage zu verdauen. Die Hölle, in die mich meine Feinde geschickt hatten, wollte mich nicht mehr. Sie sandte mich zurück. Ich bin wieder da, und ich habe mit meiner Abrechnung begonnen. Ich jage jetzt die Templer, die vor langer Zeit von den anderen Orden verfolgt wurden, denn im Prinzip hat sich nichts verändert.«
Sendrine presste die Lippen zusammen. Über ihren Rücken rann wieder ein kalter Schauer. Sie begriff allmählich, dass dieser Mensch - falls er überhaupt einer war -, es auch schaffen würde, die anderen ebenso grausam zu ermorden wie ihren Onkel.
»Jetzt weißt du einiges«, sagte er, »und kannst deine Schlüsse daraus ziehen.«
»Ja«, sprach sie mit kaum hörbarer Stimme. »Das kann ich wirklich. Dann wollen Sie die Templer alle töten, die bei dem Abbé geblieben sind und noch leben…«
»Sie müssen sterben.«
»Warum denn?«
»Begreifst du es immer noch nicht?«, fragte er kopfschü ttelnd. »Auch wenn ihr Anführer nicht mehr lebt, so sehe ich sie doch als meine Feinde an. Und sie betrachten mich als ihren Feind. Sie werden nicht aufhören mich zu hassen und mich zu jagen. Dem muss ich so schnell wie möglich einen Riegel vorschieben.«
»Dann wird es viele Tote geben.«
»Genau.«
Es war zu sehen, wie sie erschauerte. Van Akkeren ließ sich Zeit. Es amüsierte ihn, ihr Verhalten zu beobachten, und sein Mund zog sich immer mehr zu einem abwartenden Lächeln in die Breite. Sendrine wusste nicht, wohin sie schauen sollte.
Tunlichst vermied sie den Blickkontakt mit ihrem Gegenüber.
»Es ist nicht alles«, erklärte er. »Es geht noch weiter, meine kleine Freundin. Warum bin ich wohl hier?«
Sendrine reagierte nicht, denn auf diese Frage hatte sie gewartet. Wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich vor der
Weitere Kostenlose Bücher