1219 - Die Abrechnung
Abbé Bloch, auch wenn mir das Bild meines alten Herrn immer wieder vor Augen kam. So stark, dass ich sogar mit der Hand darüber hinwegwischte, um es zu vertreiben.
Der Abbé lag auf dem Rücken. Man hatte ihm kein Leiche nhemd übergestreift, sondern ihn in seiner Kutte in den Sarg gelegt. Auf dem Stoff war auch das Templerkreuz zu sehen. Er trug die helle Kutte, weiß wie frisch gefallener Schnee. Irgendwie auch ein Zeichen des Sie ges, wie ich fühlte.
Die Hände lagen über der Brust verschränkt, als wollte er noch ein letztes Gebet sprechen. Man hatte ihm auch die Augen zugedrückt, und so wirkte der Tote wie ein schlafender, älterer Mann, dessen Kopf von einer weißgrauen Haarflut umspielt wurde.
Und doch war etwas anders bei ihm.
Der Kopf lag schief.
Van Akkeren, dieser brutale Killer, hatte Bloch das Genick gebrochen, und das war nicht mehr gerichtet worden, sodass der Kopf seine normale Position nicht mehr zurückbekommen hatte. Es war auch nur zu sehen, wenn man genau hinschaute, und das taten wir.
»Es ist schlimm«, flüsterte Godwin. »Es ist sehr schlimm, den Abbé hier so liegen zu sehen.«
»Ich weiß.«
Er atmete stöhnend. »Ich fühle die schwere Bürde seiner Nachfolge jetzt als einen noch stärkeren Druck. Ich kann dir nicht sagen, woher es kommt, aber es ist so.«
»Nimm es einfach als eine natürliche Reaktion hin.«
»Du glaubst gar nicht, wie gern ich mir hier und jetzt einen Ratschlag von ihm holen würde. Es wäre wunderbar. Er hat immer einen Ausweg gewusst. Er hat sich stets den Problemen gestellt und kannte auch die Lösung. Es ist alles gut gegangen, bis eben van Akkeren zurückkehrte und es zu einer radikalen Kehrtwende kam.«
»Das ist nur der Moment, Godwin. Du wirst sehen, dass sich die Dinge ändern und du ebenso wie es der Abbé musste, in deine neue Rolle hineinwächst. Du hast ja nicht nur das Kloster und seine Menschen hier übernommen, sondern auch den Knochensessel und den Würfel des Heils. Das darfst du ebenfalls nicht vergessen.«
»Ich weiß es. Kannst du dir trotzdem oder gerade deshalb vorstellen, dass ich mich überfordert fühle?«
»Im Moment schon.«
»Ich spüre den Druck, John, und ich kann ihm einfach nicht entwischen. Er ist vorhanden wie mein Herzschlag. Es kann sein, dass es eben die Furcht vor der Zukunft ist. In der letzten Nacht war sie so stark, dass ich mir sogar gewünscht habe, anstelle des Abbés zu sein.«
»Bitte, Godwin, so darfst du nicht denken.«
»Das weiß ich. Aber kannst du etwas dagegen unternehmen, wenn dir diese Gedanken kommen?«
»Nein, das wohl nicht.«
»Deshalb bin ich froh, dass du hier neben mir stehst. Es kostete mich schon Überwindung, die Kapelle zu betreten. Aber ich musste einfach über diese Brücke gehen, sonst wäre ich selbst nicht mehr mit mir zurechtgekommen.«
»Das war gut gedacht.«
In der nächsten Zeit schwiegen wir beide. Mein Blick glitt über den Sarg hinein bis zum Altar hin, den die Templer geschmückt hatten. Sie hatten Vasen mit Blumen aufgestellt, deren frischer Geruch dem Atem des Todes die Kraft nehmen sollte.
Zwischen Altar und Sarg standen zwei dicke Kerzen in hüfthohen Eisenständern. Das blasse Licht der Flammen brannte ruhig, als sollte es der Seele des Abbé auf dem Weg in die andere Welt eine Erleuchtung geben.
Godwin stieß mich an und riss mich dabei aus meinen Betrachtungen. »Etwas ist anders, John.«
»Was meinst du?«
Er senkte seine Stimme noch mehr. »Ich habe den Eindruck, dass hier etwas vorgeht, das ich mit der reinen Logik nicht nachvollziehen kann.«
»Kannst du es denn erklären?«
Er zuckte die Achseln. »Nicht direkt, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass wir nicht mehr allein sind.« Er drehte den Kopf nach rechts. »Jemand ist hier.«
»Ich sehe keinen außer uns.«
»Das meine ich auch nicht. Es kommt mir vor, als hätten wir Besuch von etwas nicht Sichtbarem bekommen, das um uns herumschwebt. Da gibt es für mich eigentlich nur eine Erklärung. Es könnte der Geist des Abbé sein, der noch nicht den Ort erreicht hat, den er eigentlich erreichen muss.«
Ich schob die Worte nicht einfach zur Seite. Dazu hatte ich schon zu viel erlebt. »Fühlst du denn etwas?«
»Nein, John, nichts Konkretes. Ich weiß nur, dass wir beide nicht mehr allein sind.«
Mir fehlten im Moment die Worte für eine Antwort. Aber wie zur Bestätigung meiner Gefühle, erlebte auch ich das erste Phänomen. Nicht an mir selbst, sondern weiter vorn, wo die Fahne der Templer
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