122 - Der Geisterwolf
nach der Waffe, doch im selben Moment prallte der Tierkörper gegen ihn und stieß ihn gegen die Wand.
Er stöhnte und wehrte sich mit Schlägen und Tritten, Die Wölfin biß immer wieder zu, verfehlte den Mann jedoch. Hart klappten die Kiefer zusammen, aber Claudette O’Hara hörte nicht auf, den Mann, den sie geliebt hatte, anzugreifen.
Lange würde er nicht mehr unverletzt bleiben, das war sicher, denn die Attacken der Wölfin wurden immer ungestümer, Jack Wannamaker packte einen Stuhl, dessen Beine er gegen die Bestie rammte.
Die Wölfin versuchte seitlich vorbeizukommen, Wannamaker drehte sich und bemühte sich krampfhaft, das Biest auf Distanz zu halten, Claudette O’Hara zwang ihn, zurückzuweichen. Er stolperte über eine Teppichfalte. Sie wurde ihm zum Verhängnis. Es gelang ihm nicht, auf den Beinen zu bleiben.
Er fiel aufs Sofa, verlor den Stuhl, und die Wölfin duckte sich zum Sprung. Diesen letzten Angriff würde Jack Wannamaker nicht überleben.
***
Als sich der Kofferraumdeckel öffnete, schnellte Vicky Bonney wie ein Kastenteufel hoch. Sie hoffte, Spencer Douglas überraschen zu können, doch der Feind hatte damit gerechnet.
Er wich zur Seite und brachte das blonde Mädchen mit einem Faustschlag zur Räson. Ein dumpfer Ächzlaut entrang sich ihrer Kehle. Douglas packte sie derb und riß sie aus dem Kofferraum.
Ihre Beine knickten ein, doch sie konnte nicht umfallen, denn Douglas hielt sie fest. Benommen blickte sie sich um. Sie sah die alte Mühle, sah sie zum erstenmal.
Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Das glatte Wasser, in dem sich der Vollmond spiegelte, sah zunächst aus wie ein See, aber dann fiel dem Mädchen die träge Strömung auf, und sie wußte, daß das die Themse war - unterhalb Londons.
»Warum bringen Sie mich hierher?« fragte Vicky. »Was soll ich hier?«
»Sterben«, antwortete Douglas eisig. »Sie hätten mich schon längst umbringen können. Warum haben Sie es nicht getan?«
»Du bist ein hübscher Leckerbissen. Wir werden dich gemeinsam fressen, meine Freunde und ich. Sie kommen hierher. In anderen Nächten jagen sie allein, aber in dieser letzten Vollmondnacht des Jahres werden wir ein Rudel bilden und ein großes Wolfsfest feiern.«
»Wer sind die anderen?«
»Du kennst sie nicht, und Namen haben für uns nur wenig Bedeutung. Es kann dir egal sein, von wem du getötet wirst. Sicher aber ist, daß du diese große Nacht des Wolfsgeistes nicht überlebst.« In ihrer Handtasche bewahrte Vicky Bonney eine vierschüssige Derringer-Pistole auf, die mit geweihten Silberkugeln geladen war. Und drei magische Wurfsterne, mit denen sie hervorragend umzugehen verstand.
Aber die Handtasche befand sich in Tony Ballards Wagen, und somit war Vicky den Werwölfen waffenlos ausgeliefert. Niemand wußte, wohin Spencer Douglas sie gebracht hatte.
Das bedeutete, daß ihr niemand beistehen würde. Sie war auf sich allein gestellt. Ein Mädchen ohne Waffen gegen - wie viele? - Werwölfe.
***
Ich kämpfte gegen die verdammte Lähmung an, die mich handlungsunfähig machte. Sobald Jack Wannamaker tot war, würde sich Claudette O’Hara auf mich stürzen, dessen konnte ich gewiß sein.
Aber ich wollte nicht nur mich vor Schaden bewahren, sondern auch Wannamaker. Der Wolfsüberfall war wie ein Blitz aus heiterem Himmel erfolgt.
Zu einem Zeitpunkt, wo wir nicht damit gerechnet hatten, und es sah so aus, als würde die Wölfin einen blutigen Sieg über Wannamaker und mich erringen.
Ich sah, wie sich die Bestie abstieß, konnte sie nicht daran hindern. Wannamaker war verloren. Ich konnte nichts für ihn tun, und selbst konnte er sich schon gar nicht helfen.
Die Wölfin schnellte hoch, und im selben Moment sauste ein grauer Schatten zur Tür herein. Ein zweiter Wolf! Jetzt ist alles aus, durchzuckte es mich.
Aber der andere Wolf stürzte sich nicht auf Wannamaker, sondern griff Claudette O’Hara an! Machte er ihr die Beute streitig? Die beiden Tierkörper prallten in der Luft zusammen.
Sie landeten hart auf dem Boden, überschlugen sich, und ich hörte ein schrilles Winseln, als sich der Wolf in Claudette verbiß. Das war ein Kampf auf Leben und Tod!
Die beiden Raubtiere gingen aufs Ganze. Sie stießen Stühle um, rammten Sessel zur Seite, rollten über den Teppich, sprangen auf, um sofort wieder übereinander herzufallen.
Ich hatte so etwas noch nicht erlebt. Claudette O’Hara hatte einen erbitterten Feind, einen Todfeind. Wer mochte der andere Wolf sein, der offenbar
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