1221 - Geschäft mit der Angst
genießen.
Das Trappeln der zahlreichen Rattenfüße war verstummt. Das Geräusch klang noch in Lisas Ohren nach. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass so etwas überhaupt hatte passieren können. Es war nichts zu sehen gewesen. Keine Ratte, kein anderes Tier. Trotzdem hatte Lisa sie gehört. Sie war sicher, dass sie keinem Irrtum erlegen war. Außerdem hatte sie mit ansehen müssen, was mit ihrem Mitmieter passiert war. Ein blutüberströmter Körper, erwischt von unzähligen Rattenzähnen, wobei kein Tier jemals sichtbar geworden war.
Genau das war ihr Problem, mit dem sie zu kämpfen hatte.
Eine Erklärung hätte sie nicht abgeben können. Okay, sie hätte irgendwelchen Leuten alles sagen können. Danach hätte man sie wahrscheinlich abtransportiert. So etwas nahm ihr niemand ab. Das war einfach unglaublich. Sie konnte es ja selbst nicht fassen.
Okay, Brian hatte ständig unter starken Angstzuständen gelitten. Aufgrund dessen war er auch in Behandlung gewesen.
Ob man seine Angst in den Griff bekommen hatte, war schon nach seiner Entlassung aus der Klinik fraglich gewesen. Er war verändert zurückgekommen, aber nicht gehe ilt wie sie jetzt wusste. Im Gegenteil, es war schlimmer geworden. Durch die Behandlung hatte sich die Angst konkretisiert. Das, vor dem er sich gefürchtet hatte, war zum Ausbruch gekommen und zu einer albtraumhaften Wahrheit geworden.
»Das kann doch nicht sein«, flüsterte sie und schüttelte sich.
»Das ist unmöglich.« Ihre Gedanken drehten sich wieder. »Ich muss doch nicht das erleben, was ich träume oder vor dem ich Angst habe. Ich kann ja durch den Traum die Angst überwinden und wieder völlig normal werden. Aber nicht das, was mit Brian passiert ist…«
Lisa konnte denken, was sie wollte, es blieb dabei. Die Angst hatte sich konkretisiert, denn Brian war der vor ihr sitzende Beweis.
Sie traute sich kaum, ihren Arm auszustrecken und seinen Körper zu berühren. Ihre Finger zitterten, als sie die Haut schließlich antippten. Lisa hatte sich eine Stelle ausgesucht, an der kein Blut klebte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, das Brennen an ihrer Haut zu spüren, und sie zog die Hand hastig wieder zurück.
Sie wusste noch immer nicht, ob Brian tot war oder lebte.
Konnte man diese zahlreichen Bisswunden und auch noch den hinzu kommenden Blutverlust überhaupt überleben?
Lisa hatte keine Ahnung. Sie traute sich auch nicht mehr, den Körper zu berühren und hatte vergessen, ob die Haut des jungen Mannes kalt oder warm gewesen war. Etwas Fremdes hatte hier eingeschlagen und ihren Alltag übernommen.
Irgendwann wurde ihr klar, dass sie nicht nur neben dem Regungslosen am Tisch sitzen bleiben konnte. Sie musste etwas tun und bestimmte Dinge in Bewegung bringen. Nachdenken zuerst, dann das Richtige unternehmen. Alles andere war unwichtig.
Auf jeden Fall musste die Polizei eingeschaltet werden. Wenn die beiden anderen zurückkehrten, konnte sie ihnen nicht zumuten, dass sie plötzlich einen veränderten Brian Watson sahen. Das wäre einfach fatal gewesen, und so drückte sich die junge Frau langsam und quälend in die Höhe.
Ihre Glieder waren vom langen Sitzen eingeschlafen. Sie fühlte sich gerädert, irgendwie stumpf, und als sie stand, da merkte sie auch, dass sich Schmerzen in ihrem Kopf ausbreiteten und es hinter ihrer Stirn heftig klopfte. Sie musste sich an der Tischkante festhalten. Der Kopf war schwer geworden, und die Steifheit blieb auch bestehen, als sie die ersten Schritte hinter sich gelassen hatte.
Der Weg führte sie zur Tür. Lisa wollte einfach nicht mehr bei Brian im Zimmer bleiben. Sie hatte das Gefühl, dann ersticken zu müssen, und sie fürchtete sich auch davor, dass ihr auf irgendeine Art und Weise das Gleiche passieren könnte.
Obwohl es nicht logisch war, denn sie hatte nie unter diesen Angstzuständen gelitten. Aber was war schon logisch bei dieser verdammten Sache.
Mit den Füßen schlurfte sie über den Boden, als sie sich der Tür näherte. In der Küche war es heller als im Flur. Da die Tür nicht geschlossen war, sah sie die schwammige Beleuchtung dort. Dieses Licht sorgte bei ihr für ungute Gefühle, doch sie war stark genug, sich zusammenzureißen und einen Blick in den Flur zu werfen.
Keine Ratten!
Kein anderes Getier. Kein Schrecken, der da auf sie lauerte.
Ihr polterte der berühmte Stein vom Herzen. Am Türrahmen hielt sie sich fest, weil sie ein plötzlicher Schwächeanfall überkommen hatte, der mit einem Schuss Übelkeit
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