1222 - Die Jenseits-Sekte
oder eine Lache aus Blut ist?«
»Es fiel von der Decke. Und Blut kann sich wie Wasser einen Weg bahnen.«
Sie nahm es hin und hatte trotzdem eine Frage. »Aber es muss doch von irgendwo herkommen?«
»Bestimmt.«
»Aber nicht von oben.«
Johnny zuckte die Achseln. »Die Stimmen sind auch von irgendwoher gekommen.« Er schielte zur Treppe hin, und Suzy verfolgte seinen Blick mit angstgeweiteten Augen.
»Du willst doch nicht dorthin - oder?«
»Warum nicht? Wir müssen herausfinden, was da passiert ist, Suzy. Das können wir nicht so einfach hinnehmen. Tut mir Leid, aber so kann ich nur denken.«
»Sie sind schuld«, flüsterte Suzy. »Meine Eltern sind schuld. Sie können es nicht verkraften, dass sie tot sind, aber nicht richtig tot, und dass ich lebe.«
Johnny gab ihr Recht. »Ja, das kann alles so sein. Deine verunglückten Eltern sind der Schlü ssel.«
Suzy nahm es hin. »Es stimmt alles, Johnny, auch ich denke so. Und weil das so ist, will ich hier nicht mehr länger bleiben. Ich habe schon zu lange hier gelebt. Monatelang war ich allein, verdammt, und ich hatte immer Angst.«
»Vor den Stimmen?«
»Ja. Und vor den Geistern. Wenn sie kamen, habe ich gedacht, dass ich nur träume, aber dem war nicht so. Ich habe sie in der Wirklichkeit gesehen, Johnny. Es hat sie tatsächlich gegeben. Ich habe sie mir nicht eingebildet und du ebenfalls nicht. Es waren sie und es war die Sekte, die verdammte Sekte. Die Sehnsucht nach dem Jenseits, die sie ohne Rücksicht auf Verluste auslebten. Aber ich will nicht, verflucht. Ich will es einfach nicht. Ich will nicht so werden…«
»Alles klar«, sagte er. »Bevor wir das Haus verlassen, werde ich oben nachschauen.«
Suzy hielt ihn fest. »Warum willst du dir das antun?«
»Ganz einfach. Ich möchte Klarheit haben. Nichts anderes als Klarheit, verstehst du?«
»Nicht so richtig«, gab sie zu. »Ich weiß nur, dass ich Angst davor habe, durch den Flur zu gehen. Das ist mir sonst noch nie passiert, überhaupt nicht.«
»Dann warte hier oder komm mit!«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Johnny, ich komme nicht mit. Ich warte hier.«
Er streichelte ihre Wange. »Okay, ich bin so schnell wie möglich wieder zurück…«
Suzy sagte nichts mehr. Sie stand starr wie ein Pfahl und presste die Lippen zusammen. Johnny bewegte sich wie ein Schatten auf der Treppe und war sehr bald in der Dunkelheit verschwunden. Er hatte es nicht mal für nötig gehalten, das Licht einzuschalten.
Suzy wartete. Mit jeder Sekunde, die verging, nahm ihre Angst zu. Sie merkte auch, dass ein anderes Gefühl in ihr hoch stieg. Es war das Wissen darum, hier unten nicht mehr allein zu sein…
***
Sie waren da und trotzdem nicht zu sehen. Sie hielten sich im Unsichtbaren versteckt. Sie hatten uns gesehen, während Suko und ich sie nicht zu Gesicht bekamen.
Unseren Plan, das Haus zu betreten, hatten wir aufgegeben.
Zu zweit blieben wir vor der Tür stehen und waren sogar wieder etwas zurückgegangen, um einen besseren Überblick zu bekommen.
Nein, sie waren nicht sichtbar. Aber sie schrien und fluchten.
Es waren böse Geisterstimmen, und ihr Klang hörte sich an, als litten sie unter Foltern.
Suko hatte sich etwas von mir entfernt. Er reagierte so wie ich. Hielt den Kopf so erhoben, dass er gegen den Himmel schauen konnte, weil er irgendwie das Gefühl hatte, die Stimmen würden uns von oben her erreichen wie ein falscher Gruß aus dem Himmel.
Aber auch der Vergleich traf nicht zu, denn wir hörten sie einfach überall. Sie erwischten uns aus jeder Richtung. Sie klangen leise und laut zugleich. Sie flüsterten, aber sie schrien auch, sodass wir Mühe hatten, uns auf die einzelnen Stimmen zu konzentrieren.
Sie waren Gegner. Wir mussten sie bekämpfen. Nur - wie soll man jemand abwehren, den man nicht sieht? Das war das große Problem, an dem wir zu knacken hatten.
Je weiter wir zurückwichen, um so mehr nahm der Klang der Stimmen ab. Schließlich waren sie so leise, dass wir sie nur als fernes Rauschen vernahmen.
In der Nähe des Rovers trafen wir wieder zusammen. Sukos Blick bestand aus einem einzigen Fragezeichen, aber ich musste passen, denn ich war nicht in der Lage, ihm eine normale Antwort zu geben.
»Sorry, aber ich weiß auch nicht, wer uns da begrüßt hat.«
»Tote…«
»Nein, Geister. Die Geister der Toten.«
»Zu denen auch Jason Abbot gehört.«
»Ja«, murmelte ich, »einmal ist er ein Mensch und dann wieder ein verdammter Geist. Ich weiß nicht, wie das
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