124 - Die weisse Frau vom Gespensterturm
frischem Grünton gestrichen, der vor
noch nicht allzu langer Zeit aufgetragen worden sein musste.
Larry Brent
bewies dem Befreiten, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Mit einem
Nachschlüssel öffnete er die dicke, mit Bronzebeschlägen versehene Holztür.
Äußerst langsam und vorsichtig drückte X-RAY-3 die Tür nach innen, um kein
Geräusch zu verursachen.
Die Vorhalle
war groß und geräumig. Dem Eingang genau gegenüber befand sich die weiße
Treppe. Rechts daneben standen eine blankgeputzte Ritterrüstung und ein großer
Kamin, vor dem mehrere bequeme und wuchtige Sessel aus Leder gruppiert waren.
An der Decke
mitten über der Vorhalle hing ein gewaltiger Kronleuchter, der denen im
Buckingham-Palast an Schönheit und Größe an nichts nachstand. ln der Luft hing
noch ganz leicht der Geruch von verbranntem Holz, ein Anzeichen dafür, dass am
Abend der Kamin gebrannt hatte.
Larry drückte
seinem Begleiter den Schlüssel in die Hand. Wortlos ließ Henry Parker-Johnson
ihn in der Rocktasche verschwinden. ..Zu Hause“, flüsterte er und hatte die
Augen weit aufgerissen, als könne er nur so alles wahrnehmen. „Ich bin zurück
... und keine zehn Pferde werden mich mehr in Brennans Sanatorium bringen!“ Um
seine schmalen Lippen zuckte es.
Eine halbe
Minute sickerte noch das Licht der beiden Hauslaternen durch die halboffene Tür
und schuf eine schummrige Atmosphäre, in der die größten, nächstgelegenen
Gegenstände sichtbar waren. Dann fiel die Tür leise ins Schloss, und Larry
Brent ließ seine Taschenlampe aufflammen. Er dämpfte den Schein und benützte
durch den einschiebbaren Filter gerade soviel Licht, dass sie sich in der
Dämmerung zurechtfanden.
In die
Vorhalle mündeten die Türen mehrerer Zimmer. Hier unten lag auch die Küche,
davor ein handtuchschmaler Korridor, in dem der Sicherungskasten hing. Zu ihm
begab sich Larry Brent jetzt. Er schraubte die Hauptsicherung heraus. Auf
Zehenspitzen liefen die beiden Männer dann über die Treppe nach oben. Auf der
Galerie lag ein kostbarer Teppich, der die Länge des Ganges füllte. Hier oben
waren die Schlafzimmer. Alles schien ruhig. Das Paar, das im Haus schlief,
hatte noch nichts von den nächtlichen Eindringlingen gehört.
Wenige
Atemzüge später standen die beiden Männer vor der
breiten Flügeltür des Schlafzimmers. Larry und Henry Parker-Johnson sahen sich
an. X-RAY-3 nickte. Es konnte losgehen. Alles war vorbereitet. Die Dunkelheit
des Hauses war ihr bester Schutz. Wenn Harriet oder ihr Mann erwachten, weil
sie ein Geräusch oder eine Stimme zu hören glaubten, würde ihre erste logische
Reaktion der Griff zum Lichtschalter sein. Aber Licht würde es dann nicht
geben.
Henry
Parker-Johnson drückte die Messingklinke herab und betrat das geräumige
Schlafzimmer, in dem das Ehepaar ahnungslos schlummerte. Der Mann ließ den
einen Türflügel weit offenstehen. Die Silhouetten der breiten, beieinander
stehenden Himmelbetten waren deutlich zu erkennen. Im rechten lag Harriet...
Wie ein
Schatten, lautlos und dunkel bewegte der aus dem Nervensanatorium Heimkehrende
sich darauf zu.
„Hallo,
Harriet 1 ', sagte Parker-Johnson dann mit dumpfer Stimme. „Ich bin
hier, ich bin zurückgekommen.“ Er beugte sich nach vom, ertastete die ruhig
schlafende Gestalt, die nur bis zur Hälfte zugedeckt war und deren lange, tiefe
Atemzüge plötzlich abbrachen.
Die
strohblonde Frau, deren Kurven sich unter dem dünnen Nachthemd abzeichneten,
riss plötzlich die Augen auf. Ihre Lippen öffneten sich, als wolle sie
schreien. Aber kein Laut kam hervor. Ihre Hand zuckte zum Lichtschalter.
Deutlich war in der Stille nach Parker-Johnsons Worten das mehrfache, trockene
Knacken des Schalters zu hören. Die Nachttischlampe blieb dunkel. Harriet
McGill richtete sich blitzschnell auf. In der Dunkelheit, die lediglich von dem
schwachen, durch die Ritzen der Fensterläden fallenden Sternenlicht beeinflusst
wurde, war die Umgebung nur schemenhaft wahrnehmbar. Henry Parker-Johnson
erkannte gerade noch, dass das Bett neben seiner Tochter - leer war.
„Du wunderst
dich gar nicht, dass ich hier bin?“, spielte Parker-Johnson seine Rolle wie
vereinbart weiter, obwohl er verwirrt war.
„Nein, warum
sollte ich?“, antwortete ihm die eigenartigerweise gefestigte, beinahe
überheblich klingende Stimme seiner Tochter. „Es gibt schließlich für alles
eine Erklärung ...“
Im gleichen
Moment als sie dies sagte, schlug die Tür mit lautem Krach zu und trennte
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