1246 - Die Opfergrotte
dass sie wie lebend aussahen.
Die knochigen Gesichter bewegten sich. Der Stein löste sich auf, und die weit geöffneten Mäuler waren von Schreien erfüllt, die nicht mehr nach außen drangen.
Aber nichts passierte.
Es blieb alles normal.
Die Welt veränderte sich nicht, denn sie hatte bereits eine zu große Veränderung erhalten.
Godwin brauchte nur einen großen Schritt zur Seite zu gehen, um den Rand des Blutbachs zu erreichen. Jetzt, als er näher an ihm stand, war er auch besser zu hören.
Kein Rauschen, kein Plätschern, sondern schwerfällige Laute, die in einem Klatschen mündeten, wenn sich die Wellen gegenseitig erschlugen. Eine dickliche und auch träge Flüssigkeit fand den Weg durch das Bachbett. Sie war dunkel, und es war für den einsamen Betrachter unmöglich, den Grund zu erkennen.
Manchmal sah es so aus, als wäre Öl dabei, sich einen Weg zur Mündung zu bahnen. Er glaubte auch, einen anderen Geruch wahrzunehmen. Einen, der nach Blut roch, aber es war trotzdem nicht der gleiche Geruch wie beim Blut eines Menschen.
Dieser hier war stärker. Es roch auch mehr nach Gasen, die sich gebildet hatten, und wenn er einatmete, dann lag er schwer auf seiner Zunge und raubte ihm einen Teil des Atems.
Er hörte die Geräusche seines Partners, der ebenfalls den Weg über die Leiter genommen und es fast geschafft hatte. Noch zwei Sprossen musste er hinter sich lassen, aber das war kein Problem.
Dann stand er neben Godwin. Der Templer sah, wie sein neuer Freund tief durchatmete, denn er war froh darüber, die Wand hinter sich gelassen zu haben.
»Und? Hast du jemand gesehen, Godwin?«
»Nein, niemand.« Er deutete auf den Blutbach. »Aber ich weiß jetzt, dass er sich bewegt und fließt. Er wird ein Ziel haben, und genau dort müssen wir auch hin.«
»Okay, dann lass uns gehen.«
»Ja, ja.« Godwin hatte die Antwort locker gegeben, aber die Nachwirkungen der Kopftreffer erwischten ihn wieder.
Diesmal nicht als Schmerzen, sondern als Hitzewellen, die bis unter seine Stirn rasten und sich dort ausbreiteten.
»Willst du noch warten?«
»Nein, es geht weiter.«
Sie setzten sich in Bewegung. Normal konnten sie nicht gehen, besonders de Salier nicht. Er musste immer wieder Pausen einlegen, weil er das Gefühl hatte, Gummi in seinen Knien zu spüren. Hin und wieder sackte er zusammen, wurde aber stets von Jorge abgestützt.
Sie gingen dem trägen Fluss des Blutbachs nach. Hin und wieder schaute der Templer auf die Oberfläche der Flüssigkeit.
Sie hatte die gleiche Farbe wie die Augen der Satanisten. Hier passte alles, nur hätte er gerne gewusst, wo sich ihre Feinde befanden. Dass sie das Weite gesucht hatten, konnte er sich nicht vorstellen.
Manchmal war der Weg so schmal, dass ihnen sogar der Vergleich mit einem Sims einfiel. Vorstehende Felskanten begleiteten das Bachbett, und diese Kanten sahen wieder aus wie albtraumhafte Gestalten, die aus einer lange zurückliege nden Zeit stammten und wie vergessen wirkten. Eine Decke gab es möglicherweise, aber sie lag so hoch über ihren Köpfen, dass sie nicht gesehen wurde.
Und dann blieben beide Männer stehen, als hätten sie ein entsprechendes Kommando bekommen. Aber es gab einen anderen Grund für ihr abruptes Verharren.
Die Schlucht wurde zu einem Trichter, und jenseits davon sahen sie die Felswand. Dort war sie zu Ende. Es war auch nicht zu erkennen, ob sich der Bach in einem Bett weiterschlängelte, denn genau dort, wo der Trichter am breitesten war, mündete er in einem Blutsee. Er war nicht groß. Man konnte ihn als Teich betrachten. An einer Seite war er offen.
Dort befand sich der Zufluss des Bachs, was aber innerhalb des Sees kaum zu erkennen war, denn das träge Blut wurde so gut wie nicht bewegt.
»Ich nehme an, wir sind in die falsche Richtung gegangen«, sagte de Salier. »Hier kommen wir nicht mehr weiter.«
»Scheint mir auch so zu sein.« Jorge wollte nicht mehr länger am Ufer des Blutsees stehen bleiben und hatte sich schon halb gedreht, als er den Griff des Templers an seinem linken Arm spürte.
»Augenblick noch.«
»Was hast du denn?«
»Schau mal auf die Oberfläche.«
Das tat er, und beiden stockte der Atem. Denn was sie jetzt sahen, ließ keinen Grund zum Optimismus zu.
An verschiedenen Stellen des Blutsees bildeten sich Kreise und anschließend Wellen. Sie schwappten von unten her in die Höhe. Also musste sich in der Flüssigkeit etwas bewegen, das vom Grund her langsam in die Höhe glitt.
»Werden das
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