1262 - Die Sauger
und nahm seinen Platz auf dem Beifahrersitz ein. Er zog die Tür zu, machte aber keinerlei Anstalten sich anzuschnallen.
Ich sagte kein Wort und schaute ihn nur an. Nein, verändert hatte er sich nicht. Er sah noch immer so aus, wie ich ihn auch kennen gelernt hatte, nur fiel mir jetzt auf, dass sein Profil ziemlich flach war. Aber das war nur eine Nebenerscheinung.
»Hallo, Jamiel. Toll, dass du zu mir gekommen bist.«
»Ja, ich war noch in der Nähe.«
»Sehr gut. Nachdem du alles erledigt hast.«
»Das musste ich tun.«
Ich ging mal davon aus, dass sich die Antwort endgültig angehört hatte und sagte mit möglichst locker klingender Stimme: »Dann kann ich wohl jetzt mein Kreuz wieder zurückhaben?«
Er drehte den Kopf und blickte mich an. Ich wich dem Blick nicht aus und stellte fest, dass seine Augen ein wenig Farbe bekommen hatten. Sie schimmerten in einem schwachen Blau. Vielleicht hatten sie auch etwas von der Dunkelheit eingefangen. Auch das Haar setzte sich jetzt ein wenig stärker von seinem Gesicht ab. Er besaß lange Finger mit sehr hellen Nägeln und erinnerte mich eigentlich an einen Menschen, der seinen Körper mit Farbe bestrichen hatte. Kleidung trug er noch immer nicht.
Seine Antwort erfolgte auch. Sie bestand aus einer Frage, die mich schon unangenehm berührte.
»Willst du mich wehrlos machen, John?«
»Bitte?« Ich war wirklich überrascht und spielte Jamiel hier nichts vor.
»Ja, du hast schon verstanden. Wenn ich das Kreuz abgebe, bin ich wehrlos und damit eine Beute für die Sauger. Es sind bereits zwei meiner Freunde getötet worden. Der eine hat noch versucht, in eine Kirche zu flüchten, aber auch dort erwischte man ihn. Er wurde gebissen, und der andere starb auf dem Dachboden. Man hat ihn dort grausam getötet. Ich bin übrig.«
»Gibt es keine anderen mehr?« fragte ich.
»Nein und ja. Ich bin in deinem Bereich wirklich als Einziger übrig geblieben.«
In »deinem Bereich« hatte er gesagt. Darüber musste ich nachdenken. Es konnte sein, dass er damit die normale Welt der Menschen gemeint hatte, aus der er ja nicht stammte, sondern aus einer Sphäre, in die Menschen normalerweise nicht hineinkamen.
»Gut, das habe ich verstanden. Aber wie geht es weiter? Ich glaube nicht an einen Stillstand.«
»Das ist richtig.«
»Es gibt die Sauger noch?«
»Ja.«
»Wie viele sind es?«
»Das weiß ich nicht. Aber es sind Bestien, die es geschafft haben, Grenzen zu überwinden.«
»Kann ich davon ausgehen, dass sie in eure Welt eingedrungen sind?«
»Das musst du sogar. Ihr sagt Dimension dazu, und sie haben es geschafft, eines der Tore zu öffnen.«
Allmählich sah ich klarer. Es war mir nicht neu. Schon recht oft hatte auch ich diese Grenzen überwinden können und war sogar in der tiefsten Vergangenheit gelandet, aber nicht in der Dimension, in der sich die Engel aufhielten oder in einer der Stufen, denn Jamiel und seine Artgenossen existierten in der untersten oder in einer der unteren.
»Nachdem dies geschehen ist, wollten sie euer Blut trinken«, fuhr ich fort. »Stimmt das?«
»Ja.«
»Ich weiß, dass es den Saugern sogar gelungen ist. Aber was passierte dann?«
»Sie wollten stark werden. Sie wollten durch unser Engelsblut einen Zugang zu uns bekommen. Vielleicht sind sie dabei, das zu erobern, was ihr Menschen das Jenseits nennt oder auch eine himmlische Sphäre. Ich weiß es nicht genau. Aber es ist schrecklich, wenn diese Wesen tatsächlich Einzug halten. Dann besteht die Grenze nicht mehr. Dann werden sie auch versuchen, weiterzumachen.«
»Was sie nicht schaffen.«
»Ha, das sagst du so einfach. Mit unseren Kräften, unserem Blut, das in ihnen kreist, ist es schon einfacher für sie. Das kann ich dir schwören.«
Ich schwieg in der folgenden Zeit. Es hörte sich alles fantastisch an, aber ich hütete mich davor, darüber zu lachen oder nur zu lächeln. Dafür hatte ich schon zu viel erlebt.
»Aber warum töten sie Menschen?«, fragte ich nach einer Weile.
»Nur wenn sie ihnen im Weg sind.«
»Dann wollen sie nicht ihr Blut?«
»Nein, nur das unsrige.«
Ich nickte, denn ich hatte verstanden. Aber ich war mit meinen Fragen noch nicht am Ende. »Und wer sind sie jetzt wirklich?« wollte ich wissen.
»Wir haben ihnen den Namen die Sauger gegeben, John.«
»Das ist mir zu wenig.« Ich schaute durch die Scheibe auf den Parkplatz. Er war leer, was gut war, denn so wurden wir nicht von anderen Personen abgelenkt. »Sie müssen irgendwo herkommen. Es muss
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