1262 - Die Sauger
»Ja, John Sinclair, so ist es. Das Kreuz ist wichtig. Es hat mich stark gemacht. Ich habe zwei von ihnen vernichten können.«
»Das stimmt, Jamiel. Besonders Tina Steene ist dir sehr dankbar. Aber du weißt auch, mit welch einer Waffe du deine Gegner im Feuer hast verschmoren lassen.«
Er nickte nur.
»Und du weißt, dass dir das Kreuz nicht gehört. Es ist mein Eigentum. Es ist ein uraltes Erbe, das allein für mich bestimmt ist. Für den Sohn des Lichts. Es hat mir in der Vergangenheit die zahlreichen Siege geschenkt, und ich setze auch in der Zukunft auf das Kreuz. Auch wenn ich dich noch so gut verstehe, du kannst es nicht behalten, Jamiel.«
Der seltsame Engel hatte alles gehört. Er zeigte nur keine Reaktion. Er überlegte. Dabei saß er unbeweglich auf dem Sitz und schaute durch die Scheibe nach draußen, wo es allmählich heller wurde.
Zwischen uns hatte sich eine Spannung aufgebaut, die von einer tiefen Stille eingefangen worden war.
Ich merkte, dass er sich innerlich verändert hatte. Es war nur ein Gefühl, und er hatte es mir auch nicht gesagt, aber so sensibel war ich schon.
»Ich verstehe dich, John.«
»Das ist gut. Dann solltest du mir mein Kreuz zurückgeben. Das wäre fair.«
»Nein.«
Selten hatte er in den letzten Minuten eine Antwort so schnell gegeben. Ich war überzeugt, dass er es ehrlich meinte. Er hatte erlebt, wie wertvoll das Kreuz für ihn war, und wäre ich an seiner Stelle gewesen, dann hätte ich es mir auch überlegt, ob ich diese ultimative Waffe wieder abgab oder nicht.
»Warum machst du es mir so schwer, Jamiel?«
»Weil es mich stärkt, und weil es mich rettet. Es ist die Verbindung zwischen uns. Wir könnten uns sonst nicht verstehen, uns würde zu viel trennen, denn eure Sprache ist nicht die meine. Also werde ich das Kreuz behalten müssen, solange mir die Sauger noch auf den Fersen sind. Das wollte ich dir sagen.«
Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Denn genau das ging mir quer. Er zeigte sich verstockt. Wenn ich mein Kreuz zurückhaben wollte, dann würde ich es ihm mit Gewalt abnehmen müssen. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »So kommen wir zu keiner Lösung.«
»Doch, John. Es gibt die Lösung bereits.«
»Deine.«
»Ja, denn ich muss das Kreuz behalten, das habe ich dir schon gesagt. Ich hoffe, dass du mich verstehst, oder willst du, dass auch mir das Engelsblut ausgesaugt wird?«
»Was immer es auch sein mag«, sagte ich, »das möchte ich auf keinen Fall, und ich weiß ja, auf welcher Seite du stehst. Deshalb will ich dir das Kreuz nicht mit Gewalt abnehmen.«
Da hatte ich wohl das Falsche gesagt, denn als er mich anschaute, wurde sein Blick eisig. »Das wirst du auch nicht schaffen«, flüsterte er. »Nein, das kommt so nicht…«
»Lass mich ausreden, Jamiel. Es muss möglich sein, dass wir einen Kompromiss schließen.«
Er überlegte. Und wieder schaute er mich an wie jemand, dem er nicht trauen konnte. Schließlich stellte er seine Frage. »Was hast du damit gemeint?«
»Das ist sehr einfach zu beantworten. Wir beide werden unseren Weg gemeinsam gehen. Wir kämpfen gegen die Sauger. Das ist es, was ich dir anbieten kann.«
Sein Blick blieb starr. Er suchte in meinen Augen, ob er mir trauen konnte. Ich hielt dem Blick stand und wartete darauf, wie er sich entscheiden würde.
Es dauerte seine Zeit, bis er sich überwunden hatte und mir zunickte. »Ja, John Sinclair, du bist der Träger des Kreuzes. Und deshalb traue ich dir.«
»Danke, das ist gut.«
Ich hatte seine linke Hand nicht gesehen. Sie lag dicht an seinem Körper. Jetzt hob er den Arm und legte die Faust auf seinen Oberschenkel.
Seine Hände waren größer als die eines Menschen. Ich wusste, was er in Faust verbarg und hatte mich nicht geirrt, denn als er sie öffnete, sah ich das Kreuz auf seiner Handfläche liegen.
»Du siehst, dass ich es bewahrt habe, John. Es ist nicht verloren gegangen.«
»Das habe ich auch nicht erwartet«, erklärte ich mit leicht rauer Stimme. Ich musste der Versuchung mit aller Kraft widerstehen, nach dem Kreuz zu greifen. Mein Blut war in Wallung geraten, ich schluckte und zwang mich zu einem Lächeln.
»Danke«, sagte Jamiel.
»Wofür?«
»Dass du es nicht versucht hast. Es wäre für keinen von uns beiden zum Vorteil gewesen. Und du hättest vielleicht mehr Federn lassen müssen als ich.«
»Möglich.« Ich kannte seine wahren Kräfte nicht, konnte mir allerdings vorstellen, dass sie schon den menschlichen weit überlegen waren.
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