1270 - Belials Liebling
deshalb wollte sie auch raus.
Unten und nicht weit vom Eingang entfernt, befand sich ihr Büro. Dort wollte sie auf John Sinclair warten.
Er hatte versprochen, Julie zurückzuholen. Zumindest glaubte sie sich daran zu erinnern. Doch dazu musste er zunächst mit diesem Lügenengel, fertig werden, und das würde verdammt schwierig sein.
Belial war nicht nur mächtig, er war auch grausam. Man konnte ihn als ein schreckliches Produkt der Hölle bezeichnen, das einen Weg gefunden hatte, um auf die Erde zu gelangen.
Darüber wollte Sina Franklin erst gar nicht nachdenken. So etwas stellte ihr bisher gekanntes Weltbild völlig auf den Kopf. Den Kindern wurde immer viel von Engeln erzählt. Sie kamen auch in vielen Geschichten vor, und in einem bestimmten Alter konnte man ihnen nicht entwischen, aber diese Engel hatten nichts mit dem Aussehen eines Belial zu tun. Sie waren die schönen Wesen, die wunderbaren Flieger, die auf Menschen Acht gaben. Und genau diese Engel hatte Julie Wilson auch gezeichnet.
Wunderschön. In sanften Farben. Aber die Zeichnungen hatten sich verändert. Sie waren dunkler geworden, verzerrter. Bis zum Finale, als sie den letzten Engel gemalt hatte.
Belial!
Er war es. Julie hatte ihn gesehen. Ob im Traum oder in der Wirklichkeit, das wusste wohl nur sie zu sagen. Aber diese Zeichnung stimmte mit dem Original überein, das hatte Sina Franklin genau gesehen. Es war auch der Grund gewesen, eine Freundin um Hilfe zu bitten. Purdy Prentiss, die Staatsanwältin, hatte danach John Sinclair geschickt, aber auch er hatte es nicht schaffen können, die andere Seite zu stoppen.
Julie Wilson war verschwunden. Dieser grausame Engel hatte sie einfach mitgenommen und sie zu einem Spielball gemacht.
Bevor Sina ihre kleine Wohnung verließ, schaute sie noch aus dem Fenster. Der Rundblick in den kleinen Park zeigte ihr nichts Aufregendes. Ein friedliches Bild im hellen Schein der Frühsommersonne und keine düstere Engelsgestalt, die das Grauen über die Menschen brachte.
Angst spürte sie nicht, aber auch keine Hoffnung. In ihr steckte ein Gefühl der Lustlosigkeit. Sie kam sich vor wie jemand, der zwar noch die normale Welt um sich herum sieht, sich aber trotzdem an ihrem Rande bewegt.
So verließ sie auch das Zimmer. Sie war unkonzentriert. Sie schaffte es nicht, sich auf einen Gedanken festzulegen. Zu viele strahlten in ihren Kopf hinein und brachten sie durcheinander.
Gedankenverloren schritt sie die Treppe hinab. Zu dieser Zeit war es noch ruhig im Haus. Aus der Küche wehten ihr die Gerüche entgegen. Zu Mittag gab es eine Gemüsesuppe, das hatte sie dem Speiseplan entnommen. Auch sie hätte gern davon gegessen, aber dazu würde es wohl nicht kommen.
Wenn jemand von außerhalb anrief, würde er bei Vivian Donnegan landen. Sina war für keinen zu sprechen. Es sei denn, der Anrufer hieß John Sinclair oder er telefonierte in seinem Namen.
In ihr Büro ging sie nicht. Plötzlich trieb sie etwas in eine andere Richtung. Das Zimmer der verschwundenen Julie lag ebenfalls im Parterre, und genau dahin lenkte sie ihre Schritte. Sie bemühte sich sogar, leise aufzutreten. Je näher die helle Tür rückte, desto nervöser wurde Sina, was sie selbst nicht verstand. Sie wunderte sich auch über ihr heftiges Herzklopfen. Das war sonst nie eingetreten, aber jetzt erfolgte es umso stärker.
Sie blieb stehen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Es war zwar niemand zu sehen, aber das musste auch nicht unbedingt sein. Sie konnte sich vorstellen, dass sie beobachtet wurde, ohne dass jemand sichtbar auftrat. Seit dem Erscheinen des Engels war nichts mehr unmöglich.
Sie ging noch weiter vor und blieb an der Tür stehen. Die Klinke drücken, das Zimmer betreten, es war eine simple Sache, und doch ließ sie es vorerst bleiben.
Sina Franklin tat das, was ansonsten nur ihre Kinder taten. Sie neigte ein Ohr gegen das Holz und lauschte.
Geräusche? Stimmen?
Die Frau zuckte hoch. Auf ihrer sonst glatten Stirn waren einige Falten erschienen. Sie merkte, dass der Druck in ihrem Innern stärker geworden war, konnte sich aber noch nicht sicher sein und versuchte es erneut. Zuvor schaute sie durch das Schlüsselloch.
Einen kleinen Ausschnitt des Zimmers bekam sie zu sehen. Möbelstücke. Nur keine Person.
Sie richtete sich wieder auf. Soll ich oder soll ich nicht?, fragte sie sich und nagte an der Unterlippe.
Da hörte sie das Lachen.
Zwar nur leise, aber trotzdem recht deutlich. Und sie kannte
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