1276 - Kodexfieber
Er hatte sie anfangs als Mutter bezeichnet, und er hatte kindliche Vorstellungen entwickelt, bis er reif genug gewesen war, die wahren Zusammenhänge zu begreifen. Aber auch dann hatte Irmina ihm nur wenige Einzelheiten über die Zeit davor erzählt.
Wer war Kidowhtar-Darhan, und warum kam sein eigener Name in diesem Begriff vor?
Schweiß bildete sich auf der grauen Haut des Zwerges. Er wischte mit den Händen über das Gesicht, und sein Körper, der in die graue Kombination gehüllt war, die die ÄSKULAP für ihn gefertigt hatte, schüttelte sich.
Nur nicht das, dachte Kido. Nur nicht das Bewußtsein verlieren oder wieder die Erinnerung.
In seinen Gedanken vermischten sich die beiden unterschiedlichen Vorgänge zu einer einzigen Bedrohung, und er setzte Bewußtlosigkeit mit Erinnerungsverlust gleich. Er mußte an die Worte Irminas denken, die von einer Rassenerinnerung gesprochen hatte.
Gehörte das dazu, was er jetzt an sich erlebte? Betraf es alle, die von seiner Art waren, oder galt es nur ihm?
Er entdeckte eine riesige Feuerlohe. Sie befand sich hinter ihm oder hinter dem, worin er sich befand. Sie kam immer näher, und die Hitze in Kidos Umgebung nahm rasch zu.
Seine Arme schnellten nach allen Seiten und aktivierten die Rettungssysteme. Kühltanks erwachten zum Leben und kühlten die Grundzelle, und am Abschluß der ersten Phase des Rettungsprogramms wurden die brennenden Teile des Schiffes abgesprengt und das Antriebssystem der zweiten Kammer in Betrieb genommen.
Dennoch rückten die Flammen näher. Die Hitze wurde unerträglich, und Kido erkannte endgültig, daß es zu Ende ging. Nichts und niemand konnte ihn jetzt noch retten. Er war vom unwiderruflichen Tod nur noch durch Sekundenbruchteile getrennt.
Kido schrie. Sein Körper wurde emporgerissen und taumelte aus der Nische der Mauer heraus. Sein Blick klärte sich, und er blieb wankend und keuchend stehen. Nichts Ungewöhnliches war um ihn herum. Nur der Abdruck seines Körpers in dem Material der Nische war neu hinzugekommen.
„Kido? Wieso Kido?" ächzte er. „Da ist nichts, was zu mir gehört. Es gibt nichts, was so furchtbar sein könnte. Und warum Kido? Jenes Wesen, das in der Flammenhölle litt, hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit mir. Eigentlich überhaupt keine Ähnlichkeit. Ich war es nicht."
„Bist du da so sicher?" meldete sich der fiktive Memopartner, ohne daß Kido ihn bewußt herbeigerufen hatte. „Kann es nicht sein, daß es doch zu deiner direkten Erinnerung gehört? Daß sich mit diesem Erlebnis Namen verknüpfen?"
„Nein!" schrie er trotzig, dann lauschte er. Auf der Chinesischen Mauer in dem Virenschiff war es ruhig. Es waren keine Stimmen zu hören und keine Schritte. Die Zwillinge schienen ihn nicht zu verfolgen.
Kido lehnte sich gegen eine der Zinnen und sog rasselnd die Luft ein. Sein Brustkorb hob und senkte sich hastig, während er verzweifelt versuchte, seine Gedanken zu ordnen und die Realität von der Einbildung zu trennen. Es gelang ihm nicht vollständig.
„Namen!" hauchte er. „Was sind schon Namen!"
Sein Memopartner antwortete nicht und ließ sich auch nicht herbeidenken. Alles, was in Kidos Gehirn vor sich ging, schien plötzlich vom Zufall abhängig zu sein. Die Erkenntnis deprimierte das koboldhafte Wesen zutiefst. Bisher hatte es wenigstens für den Zeitraum seit seiner Bewußtwerdung eine eigene Identität besessen, aber diese löste sich langsam auf.
Er suchte nach Namen, aber es fielen ihm nur die ein, die ihm bekannt waren. Irmina Kotschistowa, die er dringend über seinen Verbleib hätte informieren müssen. Reginald Bull, genannt Bully, der das Permit weggeworfen hatte und die Vironauten anführte, die sich seiner EXPLORER angeschlossen hatten.
Doc Shilling, der unter der Wahnidee litt, den Viren ihre alte Formbarkeit zurückgeben zu können.
Viele andere Namen fielen ihm noch ein, aber sie alle erhielten keinen Zusammenhang mit der seltsamen Feuersbrunst, die ihm vorgegaukelt worden war. Er hob drohend einen Arm.
„Du steckst dahinter!" sagte er zu der Mauer. Er erhielt keine Antwort und hatte auch keine erwartet. Kido wurde ruhiger, und nach einer Weile setzte er seinen Weg fort. Eines war ihm geblieben, und darauf gab es keine Antwort. Noch immer trieb ihn etwas unwiderstehlich von Irmina und der ÄSKULAP fort.
*
Der elfte Planet des blauweißen Sterns namens Connection war mehr als eine wunderbare Welt. Er konnte schon eher als eine physikalische Abnormität bezeichnet werden,
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